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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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unvermindert wuchernde Vegetation, die vielen Eindrücke, die er unterwegs aufnimmt, lassen ihm die Fahrt sehr viel länger erscheinen, als sie tatsächlich ist. Lang und glücklich, selten, dass man diese beiden Wörter gemeinsam nennen kann.
    Und dabei denkt er daran, wie Philipp II. sie gemeinsam nannte, als er sich brüstete, dass in seinem Reich die Sonne niemals untergehe und dass sich in den Ländern, über die er herrschte, darunter auch Portugal, das reichste und das ärmste Kloster der Welt befänden: der Escorial und Capuchos bei Sintra. Philipp II. hatte also alles – den größten Reichtum und die größte Armut, was ihm selbstverständlich zu wählen gestattete. Könige genießen das besondere Privileg, dass ihnen alles zu verdanken ist – der Reichtum, der ihrem Stand gebührt, und die Armut der anderen, die zu beheben sie keine Anstalten machen. Der Vorteil für ihren Seelenfrieden war, dass sie sich ohne Schmach oder Gewissensbisse in die Armut begeben konnten, wenn sie zu den Mönchen gingen. Dem Reisenden ist nicht bekannt, ob Philipp II. jemals in die Serra de Sintra hinaufgereist ist, um die Franziskaner des ärmsten Klosters zu besuchen, zum Ausgleich für seine Aufenthalte im reichsten Kloster. Aber vor seiner Zeit kam Dom Sebastião häufig zu Exerzitien ins Capuchos, und die Mönche mussten sich alle über den Besuch Seiner Hoheit freuen. An diesen Ringen hier, erklärt der Wärter dem Reisenden, band Dom Sebastião immer sein Pferd fest, und an diesen Tischen saß er, um sich zu stärken und vom steilen Aufstieg zu erholen. Erstaunlich, dass ein einfacher Schließer solch wunderbare Sachen weiß und davon spricht, als hätte er sie selbst miterlebt, in solch überzeugtem Ton, dass der Reisende beim Betrachten der Ringe und Tische darauf wartet, das Pferd wiehern und den König sprechen zu hören.
    Das waren noch friedliche Zeiten. Es gab keinen Grund, Kastilien zu fürchten, Philipp II. begnügte sich mit dem Escorial, es gelüstete ihn nicht nach diesem bitterarmen, nur aus Stein gebauten Kloster, dessen einziger Komfort und Schutz vor der eisigen Kälte in den Bergen die Korkverkleidung an den Wänden war, wie man sie noch heute, inzwischen erneuert, sehen kann. Wer sich dafür entschied, hier zu leben und zu sterben, dem musste wirklich an Bescheidenheit und Demut gelegen sein. Die niedrigen Türen, die selbst ein Kind nur gebückt passieren kann, verlangten nach radikaler Unterwerfung von Körper und Seele, und in den Zellen, zu denen sie führen, mussten die Gliedmaßen eingezogen werden. Wie viele Männer ließen sich hier unterwerfen, oder vielmehr, wie viele sind hierhergekommen, um sich zu unterwerfen? In den Kapitelsaal passen kaum mehr als ein halbes Dutzend, das Refektorium sieht aus wie aus einem Puppenhaus, die Tischplatte füllt fast den ganzen Raum, und dazu die ständige Qual auf den Holzbänken mit schrundiger Borke, sofern man sie damals nicht abgeschält hat. Der Reisende denkt ein Weilchen darüber nach, was es heißt, Mönch zu sein. Für ihn, einen Mann so ganz von dieser Welt, ist es ein Rätsel, dass jemand sein Haus und seine Arbeit aufgibt, hier draußen ans Tor klopft: »Ich möchte herein«, und sich fortan um nichts mehr kümmert; selbst als Dom Sebastião nicht mehr kam und ein anderer König herrschte, war das den Mönchen von Capuchos einerlei. Da sie glaubten, der Platz im Himmel sei ihnen sicher, werden sie sich gesagt haben, dass die Engel weder Portugiesisch noch Spanisch sprechen, und ihr Latein verbessert haben, das ja, wie wir alle wissen, die Sprache des Himmels ist. Das murmelt der Reisende vor sich hin, doch im Grunde ist er beeindruckt, jedes Opfer, jeder Verzicht, jede Selbstaufgabe berührt ihn. Auch wenn sie so egoistisch ist wie diese, die Kapuziner im Kloster Santa Cruz haben teuer dafür bezahlt. Wegen dieser ketzerischen Gedanken wird der Reisende vermutlich aus dem Paradies vertrieben werden. Er könnte noch einen anderen Weg nehmen, sich zwischen Büschen verstecken, aber dann käme die Nacht, und so mutig, dass er sich die große Konfrontation mit der Dunkelheit in diesem Felsengewirr der Serra zutraut, ist er nicht. Also fährt er hinunter in den Ort, und das heißt zurück in die Welt, und überlässt dem Frieden im Vergessen die Schatten der Mönche, deren einzige Sünde ihr Hochmut war, sich für erlöst zu halten.
    Fast so heterogen im Stil wie der Palácio da Pena ist der Palácio Nacional da Vila in Sintra. Doch wirkt dieser wie

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