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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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den Platz einer Moschee eingenommen haben. So könnte es durchaus sein, dass hier ein Sonnen- oder Mondkult zelebriert wurde und dass der kreisförmige heilige Raum die Gottheit symbolisiert. Diese Hypothese mag falsch sein, doch zumindest stützt sie sich auf konkrete und objektive Gegebenheiten.
    Alle Wege führen nach Sintra. Der Reisende hat seinen schon gewählt. Er fährt über Azenhas do Mar und Praia das Maçãs, wirft zuerst einen Blick auf die Häuser, die sich wie eine Kaskade den Steilhang hinunterziehen, dann auf den von der Brandung der offenen See gepeitschten Strand, gesteht aber, dass er dabei ein wenig unkonzentriert war, so als spürte er die Gegenwart der Serra in seinem Rücken und hörte sie ihn über die Schulter fragen: »Was machst du da so lange?« Dieselbe Frage dürfte das andere Paradies gestellt haben, als der Schöpfer den Lehm zusammentrug, aus dem er Adam formen wollte.
    Auf dieser Seite gelangt er zuerst nach Monserrate. Aber zu welchem Monserrate? Dem orientalisch-mongolisch inspirierten Palast, heute ziemlich heruntergekommen, oder dem Park, der sich von der Straße in das tiefe Tal hinein erstreckt? Zu den zarten Stuckarbeiten oder der wuchernden Vegetation? Der Reisende nimmt, was als Erstes kommt, folgt den unebenen Stufen in den Wald hinunter, den verhangenen Pfaden und tritt in das Reich der Stille. Zwar zwitschern Vögel, hier und da raschelt ein Tier im Unterholz, ein Blatt fällt oder eine Biene summt, doch diese Geräusche sind selbst Stille. Hohe Bäume zu beiden Seiten des Berghangs, die Baumfarne haben dicke Stämme, und an der tiefsten Stelle des Tales, wo Wasser plätschert, stehen Pflanzen mit riesigen stacheligen Blättern, unter denen ein Erwachsener Schutz vor der Sonne suchen könnte. In den kleinen Teichen blühen Seerosen, und hin und wieder lässt ein dumpfes Geräusch im Wald den Reisenden zusammenzucken – ein trockener Pinienzapfen hat sich vom Ast gelöst.
    Hoch oben steht der Palast. Von weitem hat er eine gewisse Grandeur. Die runden Erkertürme mit ihren charakteristischen Einfassungen locken den Blick, und die Umrahmungen der Bogenfenster haben aus der Distanz kaum Konturen. Aus der Nähe überkommt den Reisenden Traurigkeit. Diese englische Laune, finanziert mit dem Geld des Tuchhandels und viktorianisch inspiriert, zeigt, wie vergänglich Neubelebungen sind. Im Palast arbeiten Handwerker, und das ist gut so – Ruinen haben wir mehr als genug. Doch selbst dann, wenn der Palast nach der vollständigen Restaurierung wieder zu besichtigen ist, wird er immer noch sein, was er seit jeher war: die Laune einer Epoche, die jeden Geschmack vertrat, weil sie selbst keinen eigenen hatte. Diese Architektur des 19. Jahrhunderts ist im Allgemeinen importiert und bis zur Erschöpfung eklektisch. Infolge ihrer massiven ökonomischen Ausweitung eigneten sich die Imperien zu ihrem Vergnügen fremde Kulturen an. Und das war auch immer das erste Indiz für den nahenden Niedergang.
    Von der Terrasse des Palasts blickt der Reisende auf das Grün des Parks. Dass die Erde fruchtbar ist, wusste er – er kennt einiges an Kornfeldern und Pinienwäldern, an Obstgärten und Olivenhainen, aber dass diese Fruchtbarkeit sich mit solch heiterer Kraft offenbaren kann, wie ein ewig gebärender Leib, der sich von dem nährt, was er hervorbringt, das wird dem Reisenden erst hier klar. Erst als er die Hand auf einen Baumstamm legt, sie in das Wasser eines Brunnens taucht oder über die halb umgefallene, moosbedeckte Statue streicht oder mit geschlossenen Augen dem unterirdischen Raunen der Wurzeln lauscht. Und über allem die Sonne. Mit einem kleinen Ruck könnten die Bäume die ganze Erde zu ihr emporheben. Der Reisende spürt den Rausch des kosmischen Geschehens. Und um sich zu vergewissern, dass ihm dieses Paradies nicht verlorengeht, kehrt er auf demselben Weg zurück, zählt die Baumfarne und entdeckt noch einen, und also verlässt er den Park mit dem zufriedenen Gefühl, dass es mit der Erde so schnell nicht zu Ende gehen wird.
    Die kurvige, sehr schmale Straße windet sich um die Serra, als wollte sie sie umarmen. Grüne Kuppeln schützen sie vor der Sonne, schirmen die Landschaft eifersüchtig vor dem Reisenden ab. Man verlangt nicht nach einem weiten Horizont, wenn der nahe Horizont aus einem flimmernden Vorhang von Laub und Baumstämmen besteht, einem unendlichen Spiel aus Licht und Grün. Der Palast von Seteais taucht überraschend mit seiner großen Rasenfläche auf, die

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