Die Portugiesische Reise (German Edition)
Pfarrkirche ein Walnussbaum, in dem zwanzig oder dreißig Zikaden gleichzeitig singen, und zwar so, dass man nur einen einzigen Ton hört und nicht das übliche abwechselnde Gezirpe. Der Reisende wundert sich, dass der Walnussbaum und die Zikaden nicht abheben und singend gen Himmel fliegen. Der Walnussbaum jedenfalls hat Mühe, seine Wurzeln im Erdreich zu halten.
In der gleichen Richtung, aus der er gekommen ist, fährt der Reisende zurück, passiert Estremoz und durchquert auf dem Weg nach Borba dichte Olivenhaine. Der Tag verspricht glühend heiß zu werden. Gleich bei der Einfahrt nach Borba blendet das Auge fast unerträglich mit ihrem Weiß eine schlichte Kapelle, nur Tür, Giebelaufsatz und Kuppel. Eine schlichte Kapelle, sagt der Reisende. Ganz so schlicht aber doch nicht. Zwar besticht sie nicht durch ihre Größe, wohl aber durch ihre Monumentalität: Die Tür reicht bis zur Kuppel hinauf, die direkt auf dem Gesims ruht. Rechts und links vom Giebelaufsatz führen zwei schöne sitzende Figuren, die ihre Füße ins Leere hängen lassen, einen Dialog, den man unten nicht hört. Ein paar Frauen unterhalten sich im Schatten, der Reisende fragt, was für eine Kapelle das sei. Keine kann es ihm sagen. Gehörte sie früher zu einem Prozessionsweg? Vielleicht. Nur wenige Meter weiter steht die Kirche São Bartolomeu, ein Renaissance-Bau. Apropos, was es in dieser Gegend reichlich gibt: Renaissance und Weiß. Äußerlich zeichnet sich die Kirche nicht durch Prunk aus, innen hingegen ist sie prächtig mit Marmor ausgekleidet. Das Schönste an ihr sind allerdings die Deckenmalereien, mit Medaillons und Landschaftsbildern, eine Ausschmückung, wie man sie nur selten findet. Borba gefällt dem Reisenden ganz entschieden. Vielleicht liegt es an der Sonne, dem noch morgendlichen Licht, vielleicht am Weiß der Häuser (wer hat gesagt, Weiß sei keine Farbe, sondern das Fehlen von Farbe?), vielleicht an alldem und auch an allem anderen, dem Verlauf der Straßen, den Menschen, die in ihnen unterwegs sind, mehr wäre für aufrichtige Zuneigung gar nicht nötig, da entdeckt der Reisende plötzlich unter einer Dachtraufe die ungewöhnlichste Liebeserklärung, ein Schild mit der Aufschrift: DAS ZERSTÖREN DER NESTER IST VERBOTEN. ZUWIDERHANDLUNGEN WERDEN MIT 100 $ GEAHNDET.
Man wird dem Reisenden darin zustimmen, dass ein Ort größtes Lob verdient, wenn man dort öffentlich erklärt, dass die ganze Härte des Gesetzes jene Übeltäter trifft, die die Behausungen der Vögel vernichten. Der Schwalben, genauer gesagt. Da das Schild unter einer Dachtraufe hängt, wo ja die Schwalben im Allgemeinen ihre Nester bauen, wird klar, dass der Schutz nur ihnen gilt. Alle anderen Vögel, gewiefter und den Menschen weniger vertrauend, bauen ihre Nester in den Bäumen außerhalb des Ortes und setzen sich den Risiken des Krieges aus. Aber es ist schon hervorragend, dass wenigstens ein Stamm des geflügelten Volkes das Gesetz auf seiner Seite hat. Wenn es so allmählich weitergeht, wird das Gesetz am Ende sämtliche Vögel und sämtliche Menschen schützen, mit Ausnahme, versteht sich, denn andernfalls verdiente es nicht die Bezeichnung Gesetz, der Räuber auf der einen wie der anderen Seite. Vermutlich wegen der Hitze hat der Reisende an diesem Tag nicht den allerklarsten Kopf, doch hofft er, dass man ihn versteht.
Fonte das Bicas wird häufig erwähnt, und zu Recht. In der Form eines kleinen Tempels mit geschlossenen Bögen würzt der Brunnen seinen neoklassizistischen Stil mit dem besonders weichen weißen Marmor aus der Region. Am besten gefällt dem Reisenden jedoch oder, genauer gesagt, amüsiert ihn eine Art von Irrgarten vor dem Brunnen, die vielen Gitter, die entweder den Weg versperren oder freigeben. Der Ortsfremde, der ihn zum ersten Mal betritt, reagiert verwirrt. Der Reisende vermutet, dass von ferne immer Einheimische belustigt zusehen und über die Ratlosigkeit des Fremden lachen.
Auf der Strecke nach Vila Viçosa begegnen dem Reisenden zu beiden Seiten der Landstraße zahlreiche Marmorbrüche. An diesen Knochen der Erde haftet noch fest der Lehmleib, der sie zuvor bedeckte. Und wo schon von Knochen (portug. ossos) die Rede ist, stellt der Reisende fest, dass sich zu seiner Rechten hinten am Horizont die Gipfel der Serra de Ossa abzeichnen, was nicht die weibliche Form von osso ist, denn die gibt es nicht, sondern so viel wie Bärin bedeutet. Wie wir sehen und uns vor Augen geführt wird, ist nicht alles das, was es zu sein
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