Die Portugiesische Reise (German Edition)
des Kastells für die Bewegung von Truppen, Artillerie zur Verteidigung und vermutlich auch Zugtieren, hat der Reisende das Gefühl, wie er es selten erlebt hat und noch nie so intensiv, Kriegsluft und den Geruch von Schießpulver zu atmen, obwohl sich dort keinerlei Kriegsgerät befindet. Innerhalb der Burgmauern steht die Zitadelle Alcáçova dos Duques mit einigen schönen Gemälden, und in der Zitadelle sind untergebracht, und zwar gut, nebenbei bemerkt, das Archäologische Museum und das Archiv des Königshauses Bragança, eine enorm große Sammlung von Dokumenten, die noch nicht alle ausgewertet sind. Der Reisende sieht mit ziemlich bedrückten Gefühlen an einer Wand an prominenter Stelle die vergrößerte Fotografie eines von Damião de Góis, wenige Wochen bevor die Inquisition ihn verhaften ließ, unterschriebenen Dokuments. Bedrückte Gefühle trifft es nicht richtig, eher Melancholie oder skeptische Melancholie oder eine andere undefinierbare Empfindung, wie sie sich angesichts des Unwiderruflichen einstellt. So als wäre der Reisende, da er weiß, dass Damião de Góis verhaftet werden wird, weil das Datum und die Fakten ihm dies sagen, verpflichtet, die Geschichte zu korrigieren. Das kann er nur nicht – will man die Geschichte korrigieren, muss man jedes Mal auch die Zukunft korrigieren.
Über Ciladas de São Romão erreicht der Reisende die Straße, die von Alandroal nach Elvas an Juromenha vorbeiführt. Und als er an einem schattigen Platz anhält, um die Landkarte zu studieren, stellt er fest, dass auf der Generalstabskarte, für ihn der beste Reiseführer, die Grenze vor dem spanischen Olivenza nicht als solche eingezeichnet ist. Da ist überhaupt keine Grenze. Nördlich von dem Fluss Olivenza und südlich von dem Fluss Táliga, beide jenseits des Guadiana, ist die Grenze mit einem gestrichelten Streifen markiert; als ob sich das portugiesische Gebiet zwischen den beiden Flüssen über die geschlängelte blaue Linie des Guadiana hinaus erstreckte. Der Reisende ist ein Patriot. Er hat immer sagen hören, Olivenza sei uns auf schändliche Weise abgenommen worden, mit diesem Glauben ist er groß geworden. Nun wird der Glauben zur Überzeugung. Wenn die kartographische Abteilung des Militärs so demonstrativ zeigt, dass Portugal auf einer Länge von dreißig oder vierzig Kilometern keine Grenze hat, dann ist der Weg frei für die Zurückeroberung, keine gestrichelte Linie hindert uns daran, nach Spanien einzudringen und einzunehmen, was uns gehört. Der Reisende verspricht, noch einmal darüber nachzudenken. Nur eins befürchtet er: dass auf den Karten des spanischen Militärs keine durchgezogene Linie fehlt und für sie also die Sache als erledigt gilt. Zur Vorbereitung wird der Reisende an den nächsten Zusammenkünften der gemischten Kommissionen für Grenzfragen teilnehmen. Er wird aufmerksam zuhören, was, wieso und wozu diskutiert wird, dann aber irgendwann die innig gehütete Karte hervorziehen und sagen: »So weit, so gut, aber nun behandeln wir das Problem Olivenza. Meine Karte hier sagt mir, dass die Grenze noch nicht festgelegt ist. Also legen wir sie jetzt fest, und zwar mit Olivenza auf unserer Seite.« Er würde nur zu gern wissen, was dann geschehen würde.
Bis der glorreiche Tag kommt, fährt der Reisende erst einmal weiter, nun hinauf nach Juromenha. Das Dorf außerhalb der ehemaligen, von einer schrecklichen Explosion 1659 praktisch zerstörten Festung strahlt im Weiß seiner Häuser, der fast klinischen Reinlichkeit der Straßen. Unter der großen, glühenden Sonne kommt ein alter Mann heran und gibt Auskunft, seine Gestalt zeichnet sich gegen den weißen Hintergrund der Hauswand ab, als wäre er nur zweidimensional. In den Straßen ist fast kein Mensch zu sehen, doch spürt man, dass das Dorf Leben beherbergt wie ein Ei.
Der Reisende geht zur Burg. Sie ist wirklich ein Ruinenfeld. Am Eingang des Mauerrings aus dem 17. Jahrhundert, unter dem Portalbogen, käuen eine Kuh und ein Kalb geduldig (oder pflichtbewusst) wieder, was sie zuvor gefressen haben. Im Burginnern ahnt man, wo die Menschen gelebt haben: ein Schornstein, dem das Stockwerk fehlt, über dem er sich erhob, schwebt fast im Leeren. Das Gelände ist weitläufig, der Reisende geht es nicht ganz ab. Noch mehr Ruinen, die Reste einer Kapelle, vermutlich der Capela da Misericórdia, und andere, noch trauriger anzusehen, von der Kirche Nossa Senhora do Loreto, zwischen denen eine Schafherde Siesta hält und sich dabei auch
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