Die Portugiesische Reise (German Edition)
sich schon jenseits der noch menschlichen Knechtschaft. Stärker verunsichert, als er zugeben möchte, wagt der Reisende es, die Namen der beängstigenden Kohorte zu notieren, die auf ihren Konsolen stehen: Santa Luísa de Albertônia, Santa Delfina, Santa Rosa de Viterbo, die heilige Elisabeth von Ungarn, Ludwig der Heilige, König von Frankreich, Santo Ivo Doutor, Santa Isabel de Portugal, São Roque, Santa Margarida de Cortona. Den fast verblichenen Namen des letzten Heiligen zu entziffern gelingt dem Reisenden nicht. Er hätte auch nicht die Kraft dazu gehabt – die Hände zittern ihm, auf der Stirn steht ihm der Angstschweiß. Mögen ihm andere Heilige vergeben, von diesen hier ist keine Vergebung zu erwarten.
Zitternd wendet der Reisende sich ab. Er will schon hinausgehen, da wirft er für alle Fälle einen Blick auf ein Grabmal in der Nähe, einen prächtig skulptierten Sarkophag, darauf liegend ein bärtiger Mann, behütet von einem kleinen Engel, der die Flügel ausbreitet und seine Fußsohlen zeigt (als Hinweis darauf, dass er sowohl fliegen als auch laufen kann), an der Stirnseite zwei Wappen mit Halbmonden und zwei stattlichen Katzen, und in der Mitte eine Jagdszene, der Herr zu Pferd, am Handgelenk den Falken, ein Mann mit Lanze bläst ins Horn, ein anderer treibt die Hunde an, die ein Wildschwein verbellen und sich in ihm festbeißen. Der Reisende atmet erleichtert auf. Von diesem Totenschrein spricht das blühende Leben, mit einer Kraft, die die Leichenstarre der beängstigenden Heiligen zunichte und ihre Verachtung für die Welt wettmacht. Wie Dom Pedro de Barcelos in São João de Tarouca wollte dieser Vasco Esteves de Gatos die Erinnerung an die glücklichen Zeiten mitnehmen, als er hinter den Hunden über die Hügel galoppierte, während das Horn erklang und die Wälder grünten. Der Reisende verlässt die Kirche so zufrieden wie der Spatz, dem er in Torre de Palma die Freiheit zurückgegeben hat.
Es ist an der Zeit, nach Évora Monte zu fahren. Es liegt nicht weit und kommt gerade recht. In diesem Dorf hat Dom Miguel vor Dom Pedro kapituliert, wie man in der Schule lernt. Und bemerkenswert dabei ist, dass die Friedensverhandlungen nicht auf dem auf den ersten Blick dafür geeigneten militärischen Terrain der Burg und ihres Palastes Paço de Homenagem geführt wurden, sondern sich in einem einstöckigen Häuschen neben dem Haupttor der Stadtmauer die Grafen de Terceira und Saldanha als Vertreter der Liberalen und der General Azevedo Lemos, Befehlshaber der Absolutisten, unter den wohlwollenden Blicken von John Grant, dem Sekretär der britischen Gesandtschaft in Lissabon, versammelten – Freunde sind, wie man zu sagen pflegt, für solche Gelegenheiten da. Das Haus steht noch, und der Palast, von oben bis unten renoviert, böte heute neuen Verhandlungsdelegationen Komfort und Sicherheit. Das sagt der Reisende wegen der Arbeiten am Palast – drei Polizisten, deren Jeep draußen steht, bohren lange, schmale Vertiefungen in die Wände, um elektrische Leitungen zu verlegen, erzählen sich dabei Witze und pfeifen sehr männlich. Lassen wir sie, das liegt am Alter, so ist die Jugend.
Der Paço de Homenagem soll italienisch beeinflusst sein. Gut möglich, denn Vergleichbares hat der Reisende hier noch nirgends gesehen – ein quadratischer Mittelkorpus, der sich in den Ecken zu kreisrunden Befestigungstürmen erweitert. Der Anblick des Innern ist großartig, dicke Säulen tragen die drei Stockwerke hohen Gewölbe, alle unterschiedlich, sowohl die Gewölbe als auch die Säulen, und die Räume gehen offen in die Türme über. Das Ambiente entspricht in der Tat der Renaissance, ein schöner Ort für Tagungen und stilvolle Feste. Die Polizisten unterhalten sich jetzt über Filme, die sie gesehen haben oder sich demnächst ansehen wollen. Der Reisende betrachtet neugierig die Säulen im Erdgeschoss, rings um die Basis sind Flammen in den Stein geschnitten. Warum Flammen? Was für ein Feuer ist das hier in Évora Monte, in Stein gebannt? Der Reisende hat schon viele Rätsel im Gepäck, hoffentlich wird dieses sie nicht alle in Brand setzen.
Der Reisende hätte gern die Pfarrkirche besichtigt, doch sie ist geschlossen. Desgleichen die Kirche São Pedro, trotz vieler Fragen und Mühen, die Schlüsselfrau ist nicht zu Hause, sechs friedliche Hunde bewachen ihr Gehöft, der Reisende wartet ungewöhnlich lange, redet mit den Hunden und gähnt mit ihnen, doch kein Schlüssel taucht auf. Droben hinter der
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