Die Portugiesische Reise (German Edition)
zelebrierenden Epoche entsprach, eine Hauptkapelle aus Marmor und Schnitzerei im Stil der Zeit João V. aufzwängte. Falls die Büste im Triforium tatsächlich Martim Domingues, den ersten Baumeister der Kathedrale, darstellt, muss der Stein, aus dem man sie gemeißelt hat, sehr gelitten haben.
Der Reisende geht hinaus in den kühlen Schatten auf dem Largo do Marquês de Marialva, steigt die kurze Schräge hinauf, und nachdem er recht ausführlich den Diana-Tempel betrachtet hat, der Diana nicht geweiht ist und nie geweiht war, sondern seinen Namen dem erfinderischen Pater Fialho verdankt, begibt er sich zum Museum. Unterwegs sinniert er, wie es einem Reisenden immer ansteht, über das Schicksal mancher vom Menschen geschaffenen Bauwerke: Sie erleben zunächst ihre glorreiche Zeit, dann verkommen sie, verfallen, und nur hin und wieder werden sie in letzter Minute gerettet. So ist es auch diesem römischen Tempel ergangen. Im 5. Jahrhundert von den aus dem Norden auf die Iberische Halbinsel vorgedrungenen Barbaren zerstört, diente er mit zugemauerten Säulenzwischenräumen im Mittelalter als Schatzkammer für die Burg, die dahintergestanden haben soll, und wurde schließlich zum städtischen Schlachthaus. Beim Aufstand von 1383 besetzten ihn die Zünfte, die sich gegen die Parteigänger der Königin Dona Leonor Teles erhoben hatten, und kämpften von der zinnengekrönten Dachterrasse aus, die der Tempel damals besaß, gegen die Burg, beschossen sie mit einem Bolzenregen, bis sie sich ergab. So wird es in den Worten des verehrten Fernão Lopes beschrieben. Erst 1871 erlangte der römische Tempel wieder Ähnlichkeit mit seiner ursprünglichen Gestalt, soweit möglich. Aber, überlegt der Reisende nun, die Anhänger des Mestre de Aviz waren dumm dran, wenn sie zum Schutz vor den Geschossen, mit denen ihr Angriff auf die Burg erwidert wurde, nur die Säulenreihe des Tempels hatten: Das hätte keiner überlebt. Und wenn sie nicht überlebt hätten, hätten sie auch nicht die Festung eingenommen, und wer weiß, was in dem Fall geschehen wäre. Gut möglich, dass wir infolgedessen die Schlacht von Aljubarrota verloren hätten.
Ein Museum ist die unredlichste Einrichtung, die der Reisende kennt. Es verlangt, dass man es besucht, setzt in Umlauf, man sei ein Kulturbanause, wenn man es überginge, und hat es uns erst einmal in seinen Fängen, wie ein Lehrer seine Schüler, dann unterweist es uns nicht etwa maßvoll und mit kluger Auswahl, sondern überhäuft uns mit zweihundert Meisterwerken, zweitausend verdienstvollen Werken und etlichen anderen von mittlerem Wert. Ganz so umfangreich ist das Museum von Évora nicht, doch hat es mehr als genug für einen ganzen Tag, und das übersteigt die Möglichkeiten des Reisenden bei weitem. Was also tun? Er schleicht an den römischen Skulpturen vorbei wie eine Katze über glühende Kohlen, und dass er in der Abteilung Mittelalter länger verweilt, hat seinen Grund darin, dass sich dort die liegenden Skulpturen von Fernão Gonçalves Cogominho und den drei Bischöfen befinden, allerdings verweilt er nicht so lange, dass er nicht mit schlechtem Gewissen weitergeht. Wesentlich besser benimmt er sich in der Abteilung Renaissance, wo ihm erneut der großartige Nicolas de Chanterenne begegnet mit den Grabmälern des Dom Álvaro da Costa, Oberhofmeister von König Dom Manuel, und des Bischofs Dom Afonso de Portugal, dieses nach Ansicht von Sachkundigen wohl sein bestes Werk. Und außerdem befinden sich dort die herrlichen Pilaster des Convento do Paraíso. Nicht wenige erklären die besondere Schönheit der Werke aus dem sogenannten Alentejo-Zyklus des Nicolas de Chanterenne damit, dass die charakteristische Beschaffenheit des Marmors größere Genauigkeit, Schärfe und Feinheit erlaube. Womöglich ist es wirklich so, dass es hier Material gibt, das den Künstler von selbst lehrt, wie er es bearbeiten muss.
Das Beste am Museum von Évora ist wahrscheinlich die Malerei. Wenn das so ist und wenn man bedenkt, dass es solche Skulpturen besitzt, dann hat es großes Glück gehabt. Doch muss der Reisende zugeben, dass man in einem portugiesischen Museum selten ein so ausgewogenes Ensemble findet wie die dreizehn Gemälde, aus denen der Zyklus Das Leben der Jungfrau Maria besteht. Obwohl sie von verschiedenen Künstlern stammen und unterschiedliche Einflüsse verraten (deutlich zu erkennen sind die stilistischen Charakteristika von Gérard David, Hugo van der Goes und Roger van der Weyden),
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