Die Portugiesische Reise (German Edition)
entgegenbringt, sieht sich die Frau gezwungen, das Thema zu wechseln, den Mann nach draußen zu schicken und sich dem Neugierigen zu widmen, der sich inzwischen dem Altaraufsatz im Chor zugewandt hat. Ganz bemüht ist die Frau, wahrscheinlich weil sie sich schämt, im Hause des Herrn solch üble Verleumdungen verbreitet zu haben, sodass sie sich erbietet, ihm die großen Werke in der Sakristei zu zeigen. Und zum Glück nimmt der Reisende das Angebot an. In einem Flur auf dem Weg dorthin steht in einer Vitrine eine weibliche Figur, ganz in Spitze gekleidet, mit einem anmutigen breitkrempigen Hut, ebenfalls mit Spitze besetzt, wie eine Art Maja von Goya, voller Reinheit, allein durch die Haltung des Kopfes und durch ihr offenes Haar. Auf dem Schoß ein Knabe, der sich inmitten des üppig gefalteten Gewandes nur schwer ausmachen lässt. »Wer ist das?«, fragt der Reisende. »Das ist Nossa Senhora do Enjeito, die Heilige Jungfrau der Ausgestoßenen, auf ihrem Stuhl, so wie sie bei der Prozession zu sehen ist.« Der Reisende meint sich verhört zu haben und fragt noch einmal nach. »Ja doch, der Ausgestoßenen«, erwidert die Frau. Natürlich will der Reisende nicht den Eindruck erwecken, er wäre besonders bewandert in Heiligenlegenden, aber immerhin hat er einiges gesehen auf der Welt und insbesondere in Portugal, und sicher ist unser Land voll von Heiligen, aber von einer Heiligen Jungfrau der Ausgestoßenen hat er noch nie gehört. Wieder auf der Straße, fragt er sich: »Kümmert die sich denn um all die kleinen ausgesetzten Findelkinder?«
Die Antwort findet der Reisende erst, als er bereits eingeschlafen ist und noch einmal aufwacht und ihm in der Stille des Zimmers, zwischen Damast und Anrichte eines alten Hotels, die Erleuchtung kommt: »Es ist Egipto, Ägypten, nicht Enjeito. Die gute Frau kennt sich weder in Geographie aus, noch kann sie Portugiesisch, jedenfalls nicht mehr, als man braucht, um über Leute herzuziehen.« Aber der Reisende findet, bevor er wieder einschläft, dass es schade sei, und das denkt er noch heute, dass die Heilige Jungfrau nichts mit den Ausgestoßenen zu tun hatte. Denn das wäre doch eigentlich ein schönerer und auch großmütigerer Name.
Nahrung für den Körper
Der Reisende steht zeitig auf, denn heute sind lange Strecken zu bewältigen. Zuerst geht es in die Serra da Falperra, die, was die Anzahl der Raubüberfälle betrifft, früher einmal dem Pinhal da Azambuja Konkurrenz machte. Heute ist sie ein idyllisches Plätzchen und für Familienausflüge geeignet. Hier haben wir in ihrer unendlichen Anmut die Kirche Santa Maria Madalena aus dem 18. Jahrhundert, ein Werk des Architekten André Soares, der außerdem für die Heiligenstatue in der Nische über dem großen Fenster verantwortlich zeichnet. Diese in den harten Granit gehauenen Formen erinnern den Reisenden an die phantastischen Tonfiguren, die dasselbe Jahrhundert hervorgebracht hat. Zwischen der Plastizität des Tons und der Härte des Steins lässt sich sicher nicht so leicht eine Verbindung herstellen, und es gibt sie auch nicht, was das Material angeht, aber vielleicht besteht die Verbindung im Geiste der Künstler, in der Art, wie sie Kleidung und Haltung skizzierten, oder in der schmückenden Einfassung, für die diese Fassade ein vollendetes Beispiel ist. Der Reisende darf nicht hinein, aber er will sich nicht beklagen: Dies ist einer der Fälle, in denen die größte Schönheit für jeden von außen sichtbar ist. Der Sünde des Geizes hat man sich hier nicht schuldig gemacht.
Wer dieses luxuriöse Bauwerk in Auftrag gab, war der Erzbischof Dom Rodrigo de Moura Teles, der hier, als das 17. ins 18. Jahrhundert überging, über viele Jahre sein Amt ausübte, sowohl als Mann des Glaubens als auch als Künstler, und das fast immer gut. Der Erzbischof war ein kleiner Mann von einem Meter und dreißig, zu klein, um an den Altar der Kathedrale heranzureichen. Deswegen ließ er sich die enorm hohen Schuhe anfertigen, die im Museum stehen, sowie den Kirchenschmuck, der aussieht, als wäre er für Kinder gefertigt, die Kirche spielen wollen. Mit seinen Zwanzigzentimeterschuhen wurde der Erzbischof zu keinem Riesen, aber mit Hilfe der Mitra und des Ansehens seines Amtes musste er sich doch dem Volk überlegen fühlen. Aber Dom Rodrigo wollte mehr. Von allen als Bauherren tätigen Erzbischöfen von Braga war er derjenige, der am weitesten und am höchsten blickte. Neben seinen Arbeiten an der Kathedrale und der Kirche Nossa
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