Die Portugiesische Reise (German Edition)
dem Leckerbissen in Real ist das hier bestimmt nicht der richtige Nachtisch.
Kurz vor Padim da Graça schlägt sich der Reisende ganz klassisch die Hand vor die Stirn: Er hat vergessen, obwohl er doch in Sameiro und damit wirklich in der Nähe gewesen war, die römische Siedlung Briteiros zu besuchen. Morgen will er das nachholen, auch wenn es bedeutet, dieselbe Route zweimal fahren zu müssen. Während er darüber nachdenkt, sticht ihm plötzlich ein Haus am Straßenrand ins Auge und zwingt ihn, anzuhalten. Es ist kein Gutshaus, kein Palast, keine Burg und keine Kirche, kein Turm, keine Scheune. Ein ganz normales Haus ist es, mit einer Tür, Fenstern, die Vorderwand niedriger als die hintere und einem schlichten Dach mit zwei Schrägen. An weiten Stellen ist der Putz verschwunden, dort ist der Stein zu sehen. Am Fenster steht ein Mann mit langem Bart, einem alten schmutzigen Hut auf dem Kopf und den traurigsten Augen der Welt. Diese Augen waren es, die den Reisenden veranlasst haben anzuhalten. Das geschieht hier bestimmt nicht oft, denn sofort erscheinen drei oder vier Jungen, die aus ihrer Neugier keinen Hehl machen. Der Reisende geht auf das Haus zu und stellt fest, dass der Mann inzwischen schon draußen ist. Er hat sich an den Straßenrand gesetzt, als wartete er auf jemanden. Von wegen, dieser Mann wartet auf niemanden. Als der Reisende ihn anspricht, ihm die üblichen dummen Fragen stellt, die man in solchen Fällen stellt, ob er schon lange hier wohne, ob er Kinder habe, nimmt der Mann den Hut ab und antwortet nicht, sein Seufzen und den zuckenden Mund kann man nicht als Antwort bezeichnen, aber vielleicht sagen sie auch schon mehr als genug. Der Reisende erschrickt, er hat das Gefühl, in eine Welt voller Schrecken einzudringen, und will weggehen, aber die Kinder ziehen ihn ins Haus hinein, wo völlige Finsternis herrscht, obwohl das Fenster, an dem der Mann gestanden hat, geöffnet ist. Die Wände sind schwarz, der Mörtel ist abgebröckelt, der Boden ist schwarz, und auch die Frau, die da im Dunkeln an einer Nähmaschine sitzt, ist schwarz. Der Mann kann nicht sprechen, die Frau nur das Nötigste, er ist ein armer Irrer, hat etwas von einem wiederauferstandenen Christus, der weder jetzt noch vorher Gefallen am Leben hatte, die Frau ist seine Schwester, arbeitet in der Dunkelheit an der Maschine und näht Fetzen zusammen, das ist das Leben der beiden, sonst nichts. Der Reisende murmelt drei Worte und flüchtet. Für diese Art von Abenteuern ist er doch zu feige.
Es gibt keine einfachere und ungefährlichere Philosophie als diese: die Prächtigkeit der Natur, noch dazu, wo der Reisende im Minho unterwegs ist, mit dem Elend zu vergleichen, das Menschen überkommen kann und in dem sie dann das ganze Leben steckenbleiben und schließlich sterben. Zum Glück ist nicht Frühling. So kann sich der Reisende damit vergnügen, Zusammenhänge zwischen der Melancholie, die ihn befallen hat, und den fallenden Blättern, die sich am Straßenrand sammeln, herzustellen. Straßen zum Flüchten gibt es genug: Padim da Graça hat er hinter sich gelassen, der Mann mit dem schmutzigen Hut steht wieder an seinem Fenster, und auch das dumpfe Geräusch der Nähmaschine ist wieder zu hören. Der unangenehme Klang wird allmählich vom Brummen des Motors überdeckt, die Kilometer ziehen vorbei, und Barcelos kommt in Sicht. Der Reisende hat Verpflichtungen, jede zu ihrer Zeit.
Dieses ist das Land des wundersamen Hahnes, der, nachdem er gegrillt wurde, krähte und eine Nachkommenschaft zeugte, die nah an die Million heranreicht. Die Geschichte lässt sich in wenigen Worten erzählen, und sie ist nicht viel wundersamer als die vom heiligen Antonius, der zu den Fischen sprach. Es begab sich, dass in Barcelos vor langer, langer Zeit einmal ein Verbrechen geschah und nicht aufgeklärt werden konnte, wer der Verbrecher war. Der Verdacht fiel auf einen Galicier, und da kann man sehen, wie fremdenfeindlich die Leute in Barcelos waren, kaum hatten sie einen Galicier erblickt, riefen sie auch schon: »Der war’s!« Der Mann wurde festgenommen und zum Tode am Galgen verurteilt, aber bevor man ihn zum Schafott brachte, bat er, zu dem Richter geführt zu werden, der das Urteil gesprochen hatte. Jener Richter, der wahrscheinlich sehr zufrieden mit sich selbst und der eingekehrten Gerechtigkeit war, gab gerade ein Festmahl, bei dem an einem Spieß ein gegrillter Hahn auf das Messer wartete. Der Galicier bezeugte noch einmal seine Unschuld, auf
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