Die Portugiesische Reise (German Edition)
Grabmäler in Auftrag gab, hatte er einen heimlichen Gedanken: Er wollte sich eines davon für seine eigenen sterblichen Überreste reservieren. Deswegen landeten die Knochen von Dom Henrique und Dona Teresa in ein und demselben Grab und waren sich damit im Tode näher, als sie es im Leben gewesen waren. Die Zeit verging, der Erzbischof starb nicht, und da er nicht starb, dachte er, es wäre ja vielleicht doch noch genügend Zeit, ein eigenes Grab in Auftrag zu geben, statt das eines anderen zu belegen. So geschah es, sein Grab ist dieses Prunkstück da vorne, bei der Capela da Glória, und das von Dona Teresa hat ebenjenen Holzdeckel bekommen. Wenn es bei der Trennung der gräflichen Knochen zu Verwechslungen gekommen sein sollte, so trösten wir uns mit dem Gedanken, wenn auch nur eine Rippe des Grafen bei der Gräfin gelandet sein sollte, dann auch der ganze Graf. Als der Reisende zurück zum Kloster geht, fragt er sich, ob die Apostel und die Diakone, die mit offenem Mund am Rande des Grabes des Erzbischofs stehen, jeder im eigenen Schrein, Responsorien singen oder ihn lautstark tadeln. Bei einem von ihnen ist der Mund geschlossen, vielleicht weil er die Wahrheit kennt.
Über eine Treppe gelangt man zum Museum für sakrale Kunst. Der Reisende ist unterwegs mit Führer und Aufpasser, die beide unverzichtbar sind, auch wenn es ein und dieselbe Person ist. Ohne Fremdenführer wüsste er nicht, wohin bei all den Herrlichkeiten, und ohne Aufpasser würde man ihn dort nicht umherlaufen lassen. Das Museum ist gar kein Museum im eigentlichen Sinne des Wortes. Eher ein riesiger Abstellraum, eine Aneinanderreihung kleiner Räume, jeder für sich ein einziger Schatz, in dem der Reisende sich aufs Geratewohl, denn hier greift keines der strengen Klassifikationskriterien, dem Genuss der prächtigen Sammlung von Skulpturen, kolorierten Büchern, Elfenbein, Schmuck, Zinnund Eisenfiguren hingeben kann, einem schier endlosen Fluss von Kunstwerken jeglicher Art. Er hat das Privileg, das alles allein mit seinem Fremdenführer sehen zu dürfen, und bestimmt wird er eines Tages wiederkommen, wenn es das Leben erlaubt. Wer nach Braga fährt und nicht im Museum war, kennt Braga nicht. Der Reisende muss sich selbst loben, diese lapidare Formel gefunden zu haben. Etwas so Unsterbliches wie das Lapidare, denn es bedeutet in Stein gemeißelt, erfindet man nicht alle Tage.
Jetzt sieht er sich ein wenig in der Stadt um. Die Senhora do Leite von Nicolas de Chanterenne hat er schon gesehen, unter ihrem Baldachin am Kopfende der Kathedrale, und da kommt ihm wieder der gleiche Gedanke wie schon einmal: Man sollte, bevor es zu spät ist, denn ihr Umhang bröckelt bereits und das Jesuskind verliert seine Konturen, hier eine Kopie hinstellen und diese Schönheit an einem sicheren Ort aufbewahren. Es ist ein Verbrechen an Nachlässigkeit, das hier begangen wird. Die Capela das Coimbras ist geschlossen, der Reisende kann sich mit seiner Stimme also nicht dem Chor der Lobeshymnen anschließen, der dieses Bauwerk aus dem 16. Jahrhundert und das, was es enthält, preist. Was er von außen sieht, gibt ihm zu denken, er kann sich keinen rechten Reim darauf machen, dass sich unter den Steinfiguren auf dem Gesims neben dem heiligen Petrus und Santo Antão auch ein Zentaur und ein Faun befinden, bösartige mythologische Kreaturen, die einem ganz anderen Kontext entstammen.
Der Largo do Paço ist ein großer, mit breiten Steinplatten gepflasterter Platz, in dessen Mitte einer der schönsten Brunnen steht, die der Reisende je gesehen hat. Die Gebäude bestehen aus Erdgeschoss und erstem Stock. Mehr Raum sollte man zum Leben nicht brauchen. Dann geht es weiter, Straße hinauf, Straße hinunter, der Reisende macht sich nicht die Mühe, alles nachzuschlagen, was er sieht. Er besichtigt zwei Kirchen und einen Torbogen aus dem 18. Jahrhundert, und in einem Viertel, von dem er sich nicht viel erhofft hatte, sieht er eine weitere Kirche (die Igreja de S. Vítor, wie man ihm später erklärt), wo er unfreiwillig Zeuge einer langwierigen Unterhaltung zwischen der Putzfrau und einem sehr geduldigen Mann wird. In dem Gespräch wird über eine andere, nicht anwesende Frau hergezogen, und zwar aufs übelste. Das Allerletzte sei sie und so weiter und so fort, es wurden böse Verwünschungen ausgestoßen. Der Reisende sieht sich derweil die konventionellen, aber nicht uninteressanten Azulejos an, und vielleicht weil er ihnen ungewöhnlich viel Aufmerksamkeit
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