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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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Buchstaben eingraviert, Überbleibsel von Grabmälern. Von diesen Toten haben nur die Steine profitiert.
    Der Reisende fährt weiter nach Coimbra. Das Wetter wird immer ungemütlicher. Hoffentlich regnet es nicht noch.

Coimbra hinauf, Coimbra hinunter
    Es regnet. Gegen Nachmittag öffnen sich die Himmelsschleusen. Aber unser Reisender ist kein Mann, der sich vom ersten Regenguss ins Bockshorn jagen lässt, auch nicht vom zweiten oder dritten. Es ist die ländliche Ausdauer, die er seiner Kindheit und Jugend verdankt, als es keinen Unterschied machte, ob es regnete oder sonnig war, ob der Mond schien oder am Himmel Drachen flogen. Immer wieder jedoch ist ein Streifen blauen Himmels zu sehen, und in diesem Licht geht der Reisende die Couraça de Lisboa hoch, einen steilen Weg, den einige verlorene Hoffnungen auf Schul- und Universitätsabschlüsse hinuntergerollt sind. Es ist kein Weg, den man einem Reisenden für gewöhnlich empfehlen würde, schon gar nicht, wenn er nicht über flinke Beine und einen langen Atem verfügt, aber dieser Reisende sieht es als seine Pflicht an, auch wenn es seinem Herzen nicht bekommt, weiterhin die abgelegenen Pfade zu wählen, die kaum betreten und doch voller Leben sind. An der Couraça de Lisboa gibt es keine besonderen Sehenswürdigkeiten, es ist wie bereits erwähnt lediglich ein steiler Weg, aber ein guter Ort, um Coimbra zu spüren, diese Provinzstadt mit ihren zwei Köpfen, dem eigenen und dem später dazugekommenen, randvoll mit Wissen und immateriellen Wundern. Hätte der Reisende genügend Zeit, würde er sich auf die Suche nach dem eigentlichen Coimbra machen, die Universität dort oben vergessen und in die kleinen Häuser an der Couraça de Lisboa und in den engen Seitengassen hineingehen, sich mit den Leuten unterhalten und hinter ihre Masken schauen.
    Aber für solche gewagten Unternehmungen ist der Reisende nicht hergekommen. Er ist ein Reisender, jemand, der kommt und geht und dabei sieht, was ist, und aus diesen kurzen Blicken, die nur oberflächlich sein können, später Erinnerungen an Tieferes holen muss. Auch das ist gewagt, aber in intuitiver Hinsicht. Dieses also ist die Universität von Coimbra, die Portugal sicherlich viel Gutes beschert hat, aber auch Brutstätte manchen Übels war. Der Reisende geht nicht hinein, er wird nicht erfahren, wie es in der Sala dos Actos Grandes aussieht oder in der Capela de São Miguel. Der Reisende ist manchmal etwas schüchtern. Jetzt steht er hier, auf dem Patio das Escolas, umgeben von Wissenschaft, und traut sich nicht, an eine der Türen zu klopfen und um einen Syllogismus oder freies Geleit zu den Hörsälen zu betteln. Zu dieser Feigheit gesellt sich die tiefe Überzeugung des Reisenden, dass die Universität nicht Coimbra ist, und er versteht, warum er dem Patio das Escolas nur einen flüchtigen Besuch abstattet und den Statuen der Gerechtigkeit und der Stärke, die Laprade in der Via Latina errichtet hat, so gar nichts abgewinnen kann, dafür aber dem manuelinischen Portal der Capela de São Miguel umso mehr, und er geht durch die Porta Férrea, durch die er hineingekommen ist, auch wieder hinaus. Gebrochen, niedergeschlagen zieht er von dannen, traurig darüber, nichts gewagt zu haben, ein Reisender, der Berge und Täler durchquert hat und hier, am Ort der Weisheit, sich an der Wand entlangdrückt, als versteckte er sich vor den Wölfen. In diesem Zustand sieht und hört er plötzlich ein paar Studenten, einen Jungen und zwei Mädchen, die einem anderen, der mit erhobener Faust abzieht, lautstark alle möglichen Schimpfwörter hinterherrufen. Und der junge Paladin, in Begleitung seiner Damen, droht dem anderen von weitem etwas an, was die keuschen Ohren des Reisenden sich nicht haben merken wollen. Keine hübsche Episode, aber wahr ist sie. Und er, der Reisende, der eben noch so enttäuscht gewesen war, kommt sich selbst wieder ein Stückchen näher.
    Etwas weiter unten liegt die Casa dos Melos. Ein vortreffliches Bauwerk aus dem 16. Jahrhundert, das eher nach einer Festung aussieht als nach der Fakultät für Pharmazie, in der man heute etwas über Kräuter und Medikamente lernen kann. Der Reisende ist sich bezüglich der wissenschaftlichen Genauigkeit dieser Wörter nicht ganz sicher und beschließt, bevor man ihn zur Rechenschaft zieht, lieber die Neue Kathedrale aufzusuchen.
    Den Riesen erkennt man am Finger, an der Fassade den Jesuiten. Als große Anhänger der Scholastik und oberste Definierer des distinguo haben

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