Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
Vom Netzwerk:
die Jesuiten ihre besondere rationalisierende Intelligenz in die Architektur mit eingebracht, die dem Manierismus zugrunde liegt und eng mit ihm verwoben ist. Die Fassade der Neuen Kathedrale ist eine Theaterkulisse, nicht wegen etwaiger exzessiver Ausschweifungen, deren es tatsächlich keine gibt, sondern im Gegenteil wegen ihrer Neutralität, ihrer Distanziertheit. Vor dieser Fassade könnte man sowohl ein Mantelund- Degen-Drama als auch eine griechische Tragödie, Frei Luís de Sousa oder Der kaukasische Kreidekreis spielen. Um sich allem anpassen zu können, muss der jesuitische Stil kalt sein und sich durch eine unpersönliche Eleganz definieren. Das alles ist, wenn der Reisende nicht träumt, an der Fassade und im Innern der Kirche auszumachen. Und wenn man sich noch einmal der Fassade zuwendet, erkennt man, dass die Glockentürme, zwar etwas zurückgesetzt, aber doch unübersehbar, in diesem Geiste völlig fehl am Platz sind. So geben sie, obwohl in einer anderen Epoche gebaut, dem Reisenden recht.
    Der Neuen Kathedrale mangelt es nicht an Sehenswürdigem. Der Hochaltar ist mit seinem vergoldeten Aufsatz und den verästelten Säulen mehr als opulent. Im Übrigen sind alle Kapellen bestens mit Altaraufsätzen ausgestattet, von denen der in der Capela de São Tomás de Vila-Nova besonders hervorsticht, ein Ausnahmewerk. Für gute Malerei ist diese Kirche nicht berühmt, aber das gilt für portugiesische Kirchen im Allgemeinen. Vielleicht fällt es dem Reisenden auf, weil er es vorzöge, die kalten Wände, die nackten Pilaster und die leeren Deckenkassetten von Wärme erfüllt zu sehen. Dieser Marmor ist Marmor und sonst nichts. Es gibt, nach Meinung des Reisenden, nur wenige Steine, die für sich selbst genommen langweiliger sind, auch auf die Gefahr hin, deswegen für einen Barbaren gehalten zu werden. Der Reisende favorisiert immer wieder die Romanik, wo aus jedem Stein ein bisweilen vielleicht rudimentäres, niemals aber geringes Kunstwerk gemacht wurde.
    Vielleicht ist es eine Strafe des Himmels, die Strafe für seine ketzerischen Gedanken, dass der Reisende auf dem Weg zum Museu Machado de Castro den ersten ordentlichen Regen abbekommt. Sein Glück ist, dass er es nicht weit hat. Er tritt ein, schüttelt sich, erwidert das verständnisvolle Lächeln der Angestellten, die froh sind, einen Besucher zu haben. Nicht, dass sie ihn erkannt hätten, aber diese Leute zeigen gern ihre Schätze, und während seines Besuches bleibt er der einzige Gast. Sicherlich, es ist Januar, und die Zeit der großen Touristenströme liegt noch in weiter Feme, aber es ist doch traurig, einen Museumsführer zu sehen, der niemanden umherführen kann, und Kunstwerke, die von niemandem betrachtet werden. Der Reisende beschließt, Egoist zu sein. »Umso besser für mich, so habe ich mehr davon.« So ist es. Das Museu Machado de Castro hat die größte dem Publikum zugängliche Sammlung mittelalterlicher Statuen in Portugal. Weil die Ausstellungsräume des Museums knapp bemessen sind, stehen die Figuren so dicht beieinander, dass sie ihre Individualität verlieren und zu einer riesigen Galerie von Personen werden, deren Züge ineinander verschwimmen. Das ist natürlich übertrieben, aber der Reisende würde gern jede dieser Figuren einmal einzeln sehen, ohne dass der Blick, während man einen Engel betrachtet, schon auf den Heiligen daneben fällt. Das sind vielleicht Lappalien, aber sie kommen hier zur Sprache, weil vor ihm ein Schatz von unschätzbarem künstlerischen Wert steht. Sein Wert wäre dadurch nicht doppelt so hoch, aber die Freude des Betrachtens, der Genuss wäre um ein Vielfaches höher.
    Wie soll der Reisende beschreiben, was er sieht? Welche Skulptur, welches Bild, welches Kunstwerk soll er hervorheben? Ein halbes Dutzend, zufällig ausgewählt und damit eine Beleidigung gegenüber den nicht Erwähnten? Diese ruhende Jesusfigur aus dem 15. Jahrhundert, die geheimnisvoll lächelt, als wäre sie sich ihrer Auferstehung sicher? Der Reisende will hier nicht über die Auferstehung sprechen, lieber sieht er in der reglosen Figur das Bild gefallener Männer, die wieder aufstehen und in der Gewissheit lächeln, dass sie wieder aufstehen werden, oder, wenn sie es nicht können, dann andere, die nach ihnen kommen. Lieber sieht er die Beständigkeit der Hoffnung beschrieben, die Lippen zu einem Lächeln des Lebens geöffnet, und hier sei es ihm erlaubt, sich an das Boot in Vila do Conde zu erinnern, das genau diesen Namen trug.

Weitere Kostenlose Bücher