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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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römische Ruine. Um diese portugiesische Ruine schert sich niemand: Nicht einmal Ruinen gelten etwas im eigenen Land. Sicherlich wird man manchmal dafür entschädigt, aber erst, wenn es zu spät ist. Davon könnte auch jene Dona Margarida de Melo e Pina ein Lied singen, die sich ebenfalls in der Kirche befindet und die in den Kerkern der Inquisition starb, nach siebzehn Jahren Gefängnis. Sie war unschuldig.
    Tentúgal kann man nicht verfehlen. Man fährt einfach immer geradeaus auf der Straße nach Coimbra. Dann kommt eine Abzweigung, und schon ist man da. In Portugal gibt es viele Orte, die von der Zeit unberührt scheinen, wo im Laufe der Jahre kein einziger Stein bewegt wurde, und dennoch sind sie voller Leben und Wärme, man hört ihr Herz schlagen. Vielleicht begeht der Reisende auch eine große Ungerechtigkeit, aber in Tentúgal scheint das nicht der Fall zu sein. Es sind Menschen auf den Straßen, es fahren Autos, sogar ein laut knatternder Traktor, und die Läden sind geöffnet. Aber Tentúgals Erscheinungsbild ist das eines Städtchens, das sich nicht mit dem Niedergang abgefunden hat, der nach einer prachtvollen Vergangenheit eingesetzt hatte, und jetzt den Groll eines verarmten Adels hegt, der nicht einsehen will, dass die Zeiten und die damit einhergehenden Werte sich geändert haben. Tentúgal hat Fenster und Türen verschlossen, sich hinter dem alten Hochmut verschanzt und überlässt jetzt Straßen und Plätze den Eindringlingen und Gespenstern. Deshalb ist die urbane Atmosphäre viel faszinierender als Kirchen und Kloster, die trotzdem nicht uninteressant sind. Der Reisende beabsichtigt, eines Tages wiederzukommen, um das Eigenartige dieses Ambiente näher zu ergründen. Und auch, denn an dieser Stelle muss er gestehen, sich der Sünde der Völlerei schuldig gemacht zu haben, um zu überprüfen, ob ihm die göttlichen Teigtaschen wieder so gut schmecken, die er an den Glockenturm gelehnt aß, wobei er die linke Hand als Serviette benutzte, damit auch ja nichts danebenging.
    Coimbra ist ganz nah, man spürt es schon in der Luft, aber zuerst zieht es den Reisenden nach São Silvestre und São Marcos: Beide liegen auf dem Weg und sind auf jeden Fall einen Besuch wert. In der Pfarrkirche von São Silvestre sind viele sehr wertvolle Bilder aufbewahrt, und der Reisende hofft, das möge noch lange der Fall sein. Das Kloster von São Marcos steht auf einem weitläufigen Gelände mit hohen Bäumen davor, und den Schlüssel bekommt er in einem netten Häuschen links daneben. Der Reisende muss an Montemor-o-Velho denken, an die Frau im Convento de Nossa Senhora dos Anjos, die den letzten Bissen noch nicht heruntergeschluckt hatte, als sie ihm den Schlüssel brachte. In São Marcos ist es ein geschniegelter junger Mann, der auf das »Guten Tag« des wohlerzogenen Reisenden kaum reagiert und sich, nachdem er die Tür aufgeschlossen hat, umdreht und nicht mehr gesehen ward. Geduld. Im Gegensatz zu Senhora dos Anjos sieht São Marcos aus wie frisch gebohnert, aber, da kann man mal wieder sehen, der Reisende sehnt sich plötzlich nach der verlassenen Ruine und empfindet Abneigung gegenüber der Sauberkeit. Ungerecht ist er, der Reisende, und inkonsequent. São Marcos ist sehr hübsch. Es gibt dort wunderbare Grabmäler, so viele, dass es an ein Pantheon erinnert, einen Totentempel, aber das kostbarste Stück ist ohne Zweifel der Altaraufsatz im Chorschiff, ein Werk des verschwenderischen Bildhauers Nicolas de Chanterenne. Jedenfalls wüsste der Reisende gern, wem die Farbigkeit der zarten Figürchen in den Nischen und Ecken zu verdanken ist: Wenn Chanterenne hier vollkommene Schönheit geschaffen hat, dann hat der Maler das Seine dazugetan, eine Arithmetik, die falsch erscheinen mag, aber der Reisende ist überzeugt davon, dass man ihn versteht.
    Das Tagewerk scheint vollbracht. Aber der Reisende fährt noch nach Ançã, einem Ort, der einem bei Bildhauern beliebten geschmeidigen Stein seinen Namen gegeben hat. Ob die Stein- brüche inzwischen abgetragen sind, hat der Reisende nicht erfahren, da ihn die Trommeln und Dudelsackmelodien ablenken, die irgendwo Neujahrslieder anstimmen. Schwere Feuchtigkeit liegt in der Luft, als er die dunkle Pfarrkirche betritt, in der eine angenehme Atmosphäre herrscht und allerlei Attraktionen ihn erwarten. Der Blick vom Kirchhof ist unverstellt, unten fließt ein Flüsschen namens Ançã. Der Reisende betrachtet das Straßenpflaster neben der Kirche. In einige Steine sind

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