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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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den Plakaten immer ganz, ganz oben steht. Sie ist normalerweise launisch, impulsiv und unbeständig. Der Reisende hofft, dass diese Primavera absoluta , dieser frühe, absolute Frühling, nicht dieselben Allüren hat, und wenn doch, sie erst spät zeigt. Dafür sprechen zwei herrliche Tage voller Sonnenschein, der gestrige und der heutige. Er fährt das Tal hinunter, das gleich hinter Guarda beginnt und in Richtung Süden führt, und folgt dann dem Flüsschen Gaia. Ein weites Land, überall Landwirtschaft, alles ist grün, der Winter verabschiedet sich.
    In der Nähe von Belmonte steht der Centum Cellas oder Centum Coeli, eine der rätselhaftesten Sehenswürdigkeiten dieser Art in Portugal. Niemand weiß, wozu dieses über zwanzig Meter hohe Bauwerk diente: Manche behaupten, es war ein Tempel, andere, ein Gefängnis, ein Gasthof, ein Beobachtungs- oder Wachturm. Ein Gasthof ergibt an dieser Stelle keinen Sinn, ein Wachturm wäre weniger aufwendig gebaut, für ein Gefängnis sind die Türen und Fenster ziemlich groß, vielleicht ein Gefängnis nur für moderne Methoden, und die Bezeichnung Tempel wird schnell und gern vergeben. Der Reisende beschließt, einen Blick auf die Umgebung zu werfen, denn ein Gebäude wie dieses wird nicht einfach so aus einer Laune heraus errichtet worden sein. Irgendwo hier wird sich eine Antwort finden, aber solange ein seriöses, methodisches Herangehen, Geld und Protektion nicht gewährleistet sind, sollte er Centum Cellas in Ruhe lassen. Man hat in Portugal schon genug zerstört, aus Mangel an Fürsorge, fehlendem Erhaltungsbewusstsein oder Missachtung.
    Belmonte ist die Heimat von Pedro Álvares Cabral, der im Jahr 1500 nach Brasilien kam und dessen Konterfei sich angeblich in Form eines Medaillons im Kreuzgang des Jerónimos-Klosters in Lissabon befindet. Wie auch immer, diese Bilder von Männern mit Bärten und Helmen kann man sowieso nicht voneinander unterscheiden, aber in der Burg von Belmonte muss Pedro Álvares gespielt und seine ersten Lektionen als Mann gelernt haben, denn dieses sind die Ruinen des Palastes seines Vaters, Fernão Cabral. Pedro Álvares kann kein schlechtes Leben gehabt haben: Den Ruinen nach zu schließen, muss es ein wunderbares Haus gewesen sein. Dasselbe gilt für das manuelinische Zwillingsfenster in der Westseite der Burgmauer. Der umfangreiche Mauergürtel birgt ein großräumiges Inneres, das zur Freude des Reisenden sehr sauber und ordentlich ist. Grundschulkinder spielen dort fröhlich, und nicht nur sie, auch zwei Lehrerinnen, die beide gleich alt sind. Der Reisende freut sich über solch glückliche Bilder und geht in der Hoffnung, weder die brünette noch die blonde Lehrerin mögen schimpfen, wenn eines dieser Kinder einmal nicht weiß, wie viel neun mal sieben ist.
    Direkt daneben liegt in einem kleinen Hof die alte Pfarrkirche. Ahnungslos tritt der Reisende ein und bleibt nach drei Schritten fassungslos stehen. Dieses ist eines der schönsten Bauwerke, die er je gesehen hat. Die Feststellung, dass es sich dabei um ein romanisches und gleichzeitig gotisches Gebäude handelt, im Übergang also, sagt alles und nichts. Denn was hier beeindruckt, ist die Harmonie der Formen und gleich danach die Nacktheit des Steins, ohne Mauerverband, lediglich die unregelmäßigen Fugen sind miteinander verbunden. Ein Körper, von innen betrachtet, und viel schöner, als man beim Eintreten erwartet hätte. Der Blick fällt schnell auf die aus vier Bögen bestehende, nach oben offene Kapelle, die sich gegen den Triumphbogen abhebt und in der an einer Wand eine Skulptur lehnt, eine Darstellung der Jungfrau mit dem toten Jesus, der über ihren Knien liegt, sein bärtiger Kopf uns zugewandt, das Wundmal zwischen den Rippen, und sie blickt ihn nicht mehr an, geschweige denn uns. Die Köpfe sind vermutlich mehrmals nachgemalt worden, doch die Schönheit dieses in harten Granit gemeißelten Körpers ist überwältigend. Selten hat den Reisenden etwas ästhetisch so tief berührt wie diese Skulptur in Belmonte.
    Die Pietà ist hier die großartigste Arbeit. Doch auch die Kapitelle der Säulen daneben sowie der Bogen im Hauptschiff und die Fresken im hinteren Teil verdienen Beachtung. Und wenn der Reisende nach diesen Hochgenüssen noch Muße für nicht ganz so Großes hat, dann gibt es in der Sakristei eine Heilige Dreifaltigkeit samt Ewigem Vater mit erschreckend weit aufgerissenen Augen und im Schiff einige nicht besonders ausdrucksstarke Grabmäler aus der Renaissance

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