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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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einen dicken Vorhang abgetrennt ist, was den Raum gemütlicher macht. Draußen ist es inzwischen wieder viel kälter, der Reisende zittert bei dem Gedanken, jetzt kein Zimmer und kein heißes Bad zu haben, so etwas passiert nur leichtsinnigen Reisenden oder Anfängern, nicht ihm, er ist schließlich ein alter Hase. Während er so über sich selbst lacht, kommt der Oberkellner mit der Speisekarte und einem Lächeln. Er ist ein kleiner Mann, kräftig gebaut. Man wechselt die zu solchen Anlässen üblichen Worte, und es scheint, als würde nichts weiter passieren, als dass das Essen kommt und der Wein und zum Schluss der Kaffee. Zwei Dinge geschehen. Erstens kommt ein ausgezeichnetes Essen. Der Reisende hatte es schon beim Mittagessen geahnt, aber wahrscheinlich steckte die eisige Nacht noch zu sehr in ihm, als dass er genügend Aufmerksamkeit darauf verwendet hätte. Aber jetzt, in aller Ruhe, wo der Gaumen sich vom übelkeiterregenden Geschmack der in der Einsamkeit des Nordpols verspeisten Kekse erholt hat, lässt sich sagen, dass die Küche meisterhaft ist. Erste Klasse. Zweitens nimmt die Unterhaltung zwischen ihm und dem Oberkellner ungeahnte Ausmaße an. In wenigen Worten erklären beide, wer sie sind und was sie tun, wohingegen die Geschichten, die darauf folgen, wesentlich mehr Worte benötigen.
    Senhor Guerra, so lautet sein Name, sagt: »Ich komme aus Cidadelhe, Landkreis Pinhel. Haben Sie vor, dorthin zu fahren?« Der Reisende antwortet wahrheitsgemäß: »Ja, das hatte ich vor. Wie sind die Straßenverhältnisse?« »Schlecht. Es ist das Ende der Welt. Aber es war schon mal schlimmer.« Nach einer kurzen Pause ergänzt er: »Sehr viel schlimmer.« Ein echter Reisender spürt instinktiv, wann aus einer Geschichte mehr herauszuholen ist, und dieser hier benötigt nicht einmal einen Haken, um seine Angel auszuwerfen: »Kann ich mir vorstellen.« »Ja, vielleicht. Es lässt mich nicht gerade kalt, wenn ich höre, dass mein Dorf irgendwann von der Landkarte verschwinden wird.« »Wer sagt das?« »Der Bürgermeister von Pinhel, schon seit Jahren. Die Zeit wird kommen, hat er gesagt.« »Mögen Sie Ihr Dorf?« »Ja, sehr.« »Haben Sie noch Familie dort?« »Nur eine Schwester. Es waren mal zwei, aber die eine lebt nicht mehr.«
    Der Reisende spürt, dass er der Sache näher kommt, und sucht nach der Frage, dem Schlüssel zum Ganzen, aber die beantwortet sich von ganz allein: »Meine Schwester starb mit sieben Jahren. Ich war neun. Sie war schwer krank, und es wurde immer schlimmer. Von Cidadelhe nach Pinhel sind es fünfundzwanzig Kilometer, und damals war das ein Trampelpfad, alles voller Steine. Der Arzt kam da gar nicht erst hin. Also hat sich meine Mutter einen Esel geliehen und ist mit uns über die Berge.« »Und, haben Sie es geschafft?« »Wir sind nicht mal bis zur Hälfte gekommen, da ist meine kleine Schwester gestorben. Wir sind umgekehrt, sie auf dem Esel, auf dem Schoß meiner Mutter. Und ich weinend hinterher.« Der Reisende hat einen Kloß im Hals. Er befindet sich im Speisesaal eines Hotels, dieser Mann ist Oberkellner, und er erzählt eine Geschichte aus seinem Leben. Es sind noch zwei andere Kellner da, die die Geschichte mit anhören können. Der Reisende sagt: »Das arme Mädchen. Zu sterben, weil keine ärztliche Hilfe in der Nähe war.« »Meine Schwester starb, weil es weder einen Arzt noch eine Straße gab.« Da versteht der Reisende, was er meint: »Das haben Sie nie vergessen, nicht wahr?« »Solange ich lebe, werde ich es nicht vergessen.« Es folgt eine Pause, der Reisende hat zu Ende gegessen und sagt: »Morgen fahre ich nach Cidadelhe. Wollen Sie mich begleiten, Senhor Guerra? Haben Sie Zeit? Zeigen Sie mir doch bitte Ihre Heimat.« Seine Augen sind noch feucht: »Es wäre mir eine große Freude.« »Also abgemacht. Ich werde morgens nach Belmonte und Sortelha fahren, und nach dem Mittagessen brechen wir auf, wenn Sie einverstanden sind.«
    Der Reisende geht zurück in sein Zimmer. Auf dem Bett breitet er die große Landkarte aus und sucht Pinhel, da ist es, und die Straße, die landeinwärts führt, irgendwo hier ist ein sieben Jahre altes Mädchen gestorben, und da oben liegt Cidadelhe, zwischen den beiden Flüssen Côa und Massueime, das ist das Ende der Welt, und es wird das Ende des Lebens sein. Wenn es niemanden mehr gibt, der sich daran erinnert.

Brot, Käse und Wein in Cidadelhe
    Die Prima donna assoluta ist die Opernsängerin, die nur die allerersten Rollen spielt und auf

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