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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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litt.
    Da er schon mal hier ist, geht der Reisende durch die engen Straßen, die zur Praça da Câmara führen, wo die Statue von Dom Sancho I. steht. Es sind ruhige, schmale Straßen, in denen um diese Zeit niemand anzutreffen ist, aber in einer Straße sieht der Reisende einen Schäferhund, der zwischen Pappkartons hinter einem Schaufenster steht und ihn anstarrt. Der Hund bellt nicht, er sieht ihn nur an, vielleicht wacht er lediglich über Hab und Gut seines Besitzers und hat schon gemerkt, dass von seiner Seite keine Gefahr droht. Guarda ist eine Stadt mit Geheimnissen. Es gibt verborgene Luken, doppelte Fenster, die mit buntem Papier beklebt sind und durch die man weder hinein- noch heraussehen kann. Wozu hat man Fenster, wenn man nicht hindurchsehen kann? Und wohin führt wohl dieser unzugängliche Garten?
    Endlich hat er die Kathedrale erreicht. Der Reisende fängt von der Nordseite aus an, bei der großen Treppe und dem Portal aus der Zeit Dom Joãos, über dem sich hintereinander mehrere Ebenen erstrecken, die im Innern den Seitenschiffen und dem Hauptschiff entsprechen, und den Bogenpfeilern, die jeweils auf Widerlagern stehen. Massig steht sie da, auf ihrem Sockel, luftig in den oberen Teilen, aber wenn man die Fassade von vorn betrachtet, hat man den Eindruck, auf eine militärische Festung zu blicken, und die Glockentürme sind von Zinnenkränzen gekrönte Burgen. Dass das gesamte Gebäude, mit Ausnahme des hinteren Teils, auf offenem Gelände steht, unterstreicht seine Größe. Guarda gefällt dem Reisenden.
    Er tritt ein und ist sofort gebannt von dem mächtigen gotischen Interieur. Das Schiff ist menschenleer, der Reisende kann nach Herzenslust umhergehen, weder die Betschwestern noch der heilige Vinzenz werden ihn hier mit argwöhnischen Blicken aus ihren klitzekleinen Augen verfolgen, wahrscheinlich wären sie dafür vom Heiligen auch getadelt worden. Im Chor der imposante Altaraufsatz, etwa hundert Figuren, die sich über vier Ebenen verteilen und mehrere Szenen aus dem Leben Christi darstellen. Auch dieses soll das Werk Jean de Rouens sein. Wäre der Stein aus Ançã nicht so weich, wie er nun mal ist, dann hätte unser 16. Jahrhundert bestimmt nicht so viele Statuen, Altaraufsätze, Figuren und Figurinen hervorgebracht. Ein ganz anderer, nämlich extrem harter Stein ist der vom Grabmal in der Capela dos Pinas, das den gotischen Bischof zeigt, wie er den Kopf in die linke Hand stützt, während der rechte Arm am Körper anliegt, als Geste des endgültigen, unausweichlichen Aufgebens. Der Körper ist leicht zum Betrachter geneigt, damit man sieht, dass dort ein Mann liegt und nicht irgendeine Totenfigur. Das macht einen Unterschied, und keinen geringen.
    Langsam wandelt der Reisende durch alle drei Schiffe, wirft einen Blick auf zwei hoch oben gelegene Fenster oder Scharten, deren Nutzen er nicht versteht, die er aber, da das Licht so günstig fällt, auch nicht ignorieren will. Er fühlt sich wohl hier, vielleicht weil er allein ist. Er setzt sich auf eine steinerne Stufe, betrachtet die gewundenen Säulenbündel und meditiert über die künstlerischen Aspekte dieses Bauwerks, die Rippen des Gewölbes, das kalkuliert Ausladende der oberen Bereiche, kurzum, er lernt seine Lektion auch ohne Lehrer. Die Kathedrale von Guarda hat nicht unbedingt mehr zu bieten als andere Bauwerke dieser Art, aber da der Reisende hier zur rechten Zeit am richtigen Ort war, hat sie ihm besser gefallen.
    Von dort geht er zum Torre dos Ferreiros. Er will sich die Landschaft von oben ansehen und das Gefühl haben, sich in einer Höhe von mehr als tausend Metern zu befinden. Das Wetter ist immer noch gut, am Horizont ist es diesig, zwar nur ein wenig, aber es genügt, um in der Ferne nichts mehr zu erkennen. Der Reisende weiß, dass dort hinten die Serra da Estrela liegt, dort die Serra da Marofa und dort die Malcata. Er kann sie nicht sehen, aber er weiß, dass sie ihn erwarten. So ist das mit den Bergen: Sie kommen nicht zum Propheten. Der Tag geht dem Ende entgegen, die Sonne steht schon tief am Himmel, es ist Zeit umzukehren. Er hat nur wenig geschlafen, nach den bereits erwähnten kalten Morgenstunden, und sehnt sich danach, die müden Glieder auszustrecken.
    Er schlummert ein wenig in seinem Zimmer und geht, als es so weit ist, zum Abendessen. Nachdem das Hotel von der Invasion der Spanier befreit ist und die portugiesischen Ausflügler wieder daheim sind, ist es angenehm ruhig im Speisesaal, von dem ein Teil durch

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