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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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nicht die Art von Dolmen, für die der Reisende besonders viel übrighat, er hat nichts Geheimnisvolles an sich, steht da einfach so am Straßenrand, mitten auf einem Feld, weder kommt man richtig an ihn heran, noch scheint es die Mühe wert. Er hat auf seiner Reise einige Dolmen gesehen, aber sie gar nicht erst erwähnt, um sie nicht mit dem in Queimada vergleichen zu müssen, wo er ein Herz schlagen hörte. Dort dachte er, es wäre sein eigenes. Heute, nach so langer Zeit und so weit entfernt, ist er sich dessen nicht mehr sicher.
    Pinhel liegt bereits hinter ihnen, aus den Straßen sind schlecht befahrbare Wege geworden, und hinter Azevo ist es nur noch eine große bergige Wüste, bewirtschaftet, wo immer möglich. Hier und dort kleine Felder, auf den grüneren Roggen, auf den anderen Weizen. Und in den weiter unten gelegenen Gebieten werden Kartoffeln angebaut und die üblichen Gemüsesorten. Hier wird Selbstversorgung praktiziert, man isst, was man gesät und gepflanzt hat.
    Cidadelhe ist die allerletzte Ecke der Welt. Das Dorf liegt fast am äußersten Ende einer Felsenspitze, eingeklemmt zwischen zwei Flüsse. Der Reisende hält den Wagen an und steigt mit seinem Begleiter aus. Innerhalb von zwei Minuten sind sie umringt von Kindern, die zum Erstaunen des Reisenden alle wunderhübsch sind, ein kleines Menschengeschlecht mit runden Gesichtern, deren Anblick eine Freude ist. Ganz in der Nähe befindet sich die Ermida de São Sebastião, und gleich daneben liegt die Schule. Sein Begleiter bestimmt, wo es hingeht, und wenn die erste Station die Schule sein soll, nun denn. Es sind nur wenige Schüler dort. Die Lehrerin erklärt ihm, was er schon weiß, dass die Bevölkerung immer stärker schrumpft, dass es nur noch knapp hundert Einwohner gibt. Eines der Mädchen betrachtet den Reisenden besonders aufmerksam: Sie ist nicht hübsch, aber sie hat den süßesten Blick der Welt. Und der Reisende erfährt, dass hier die alten Schultaschen aus seiner Kindheit gelandet sind. Reste aus der Stadt für Cidadelhe.
    Die Kapelle war geschlossen, aber jetzt ist sie wieder geöffnet. Über der Tür, unter dem Vordach, das den Eingang schützt, zeigt ein ortsübliches manieristisches Bild Golgatha. Es ist zwar vor Regen und Sonne geschützt, aber nicht vor Wind und Kälte, und daher grenzt sein guter Zustand an ein Wunder. Guerra unterhält sich mit zwei älteren Frauen, erkundigt sich nach Neuigkeiten aus dem Ort, erzählt von sich und der Familie und sagt dann: »Dieser Herr hier würde gern das Pallium sehen.« Der Reisende betrachtet noch das Bild, verspürt aber in der folgenden Stille eine Spannung. Eine der Frauen antwortet: »Das geht nicht. Das Pallium ist nicht da. Es ist zur Reparatur.« Darauf folgt ein verschwörerisches Gemurmel, man berät sich, ohne Gesten, von denen in dieser Gegend sowieso nicht viel Gebrauch gemacht wird.
    Der Reisende betritt die Kapelle und sieht sich dem merkwürdigsten heiligen Sebastian gegenüber, dem er bisher begegnet ist. Man kann sehen, dass er erst vor kurzem angemalt und lackiert wurde, in insgesamt rötlichem Ton, wobei der glattrasierte Bart einen leichten grauen Schatten hat. Mitten in seinem Herzen steckt ein Pfeil, trotzdem lächelt er. Aber wirklich verblüffend sind seine riesigen Ohren, regelrechte Fächer, um einen volkstümlichen Ausdruck zum Vergleich heranzuziehen. Groß ist die Macht des Glaubens, wenn man als Gläubiger angesichts dieses Heiligen, der eher wie ein Komiker aussieht, ernst bleiben kann. Und das scheint der Fall zu sein, denn kaum wird die Tür zur Kapelle wieder geöffnet, haben sich vier Frauen zum Gebet begeben. Das einzige Lächeln bleibt das des Heiligen.
    Die Deckenkassetten zeigen Stationen aus dem Leben Jesu Christi und weisen eine einfache, aber ausgezeichnete Komposition auf. Wenn man von den Spuren des Alters absieht, die sich vor allem an einigen Rahmen bemerkbar machen, lässt sich der Zustand der Bilder als gut bezeichnen. Sie benötigen nur konservierende Maßnahmen. Beim Hinausgehen kommt Guerra näher, und der Reisende fragt ihn: »Nun, Guerra, mein Freund, was ist mit dem Pallium?« »Das Pallium«, antwortet Guerra peinlich berührt, »ist in Reparatur.« Und die älteren Frauen, die zählen zu wollen der Reisende aufgegeben hat, antworten im Chor: »Ja, es ist in Reparatur.« »Also kann ich es nicht sehen?« »Nein, Senhor, das geht nicht.«
    Das Pallium (der Reisende wusste es bereits, und sein Begleiter bestätigt es ihm) ist der

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