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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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Fresta mit ihren schlecht erhaltenen Wandmalereien. Als der Reisende die Kirche Santa Luzia besuchen will, findet er nur Bauzäune, Staub und herumliegende Steine vor: Von oben bis unten wird alles restauriert. Es ist Zeit abzureisen.
    Nach Moreira de Rei, das sieben Kilometer nördlich von Trancoso liegt, fährt der Reisende aus einem einzigen Grund: Er will mit eigenen Augen die Eichmaße sehen, die in die Pfeiler der Kirchentür geritzt sind, die Elle, die Spanne, den Fuß. Das war ein gutes System: Wer etwas genau abgemessen haben wollte, um nicht betrogen zu werden, und auch, um niemanden zu betrügen, kam einfach hierher, schnitzte sich das Maß in eine Latte und ging auf den Markt. Dort konnte er sich dann Tuch oder Seil kaufen und in der Gewissheit heimkehren, nicht übers Ohr gehauen worden zu sein. Aber Moreira heißt de Rei, weil Dom Sancho II. hierherkam, als er 1246 ins Exil nach Toledo sollte. Von all den Orten in der Umgebung, darunter einige, die bedeutender waren, gewährte dieser ihm Unterschlupf, wenn vielleicht auch nur für eine Nacht, so endet manch ruhmreiches Leben auf dieser Welt. Ruhm und Elend derselben Welt endeten auch für jene, die rings um die Kirche begraben sind, in Gräbern, die, ein bisschen aufs Geratewohl, mit der Spitzhacke in den harten Stein geschlagen wurden, alle mit dem Kopf in Richtung Kirchenmauem, als wollten sie den letzten Segen empfangen.
    Der Reisende fährt weiter nach Norden, auf der Straße, die zur Quelle des Flüsschens Teja führt, ein Name, der ihn überrascht, denn der Tejo ist weit weg, und eine Frau sollte doch bei ihrem Mann sein. Er fährt durch Pai Penela, dann durch Meda und Longroiva, ohne nennenswerte Zwischenfälle oder Sehenswürdigkeiten, und dann weiter auf der Straße, die von Vila Nova de Foz Côa kommt und Richtung Süden führt. Die Landschaft hier ist eben, genauer gesagt eine Hochebene, der Blick kann so weit schweifen, wie er will, was aber weiter oben in Marialva interessanter sein wird, denn hier ist eigentlich nicht viel mehr zu sehen als überall dort, wo es Menschen und Arbeit gibt. Der Reisende sieht sich nicht als einen ignoranten Touristen, aber auf dieser Reise bleibt ihm nicht die Zeit, sich um viel mehr als um Kunst und Geschichte zu kümmern, wohl wissend, dass, wenn es ihm gelingt, die Brücke zu schlagen und die richtigen Worte zu finden, er immer von den Menschen spricht, von denen, die in der Vergangenheit neue Steine aufeinanderschichteten, die heute alt sind, und von denen, die heute die Regeln alter Baukunst wiederholen und lernen, eine neue zu erschaffen. Sollte der Reisende sich nicht klar genug ausdrücken, so möge der Leser es sich erklären, denn das ist auch seine Pflicht.
    Marialva hieß früher einmal Malva. Bevor er es besser wusste, dachte der Reisende, es handele sich um die zusammengezogene Form des weiblichen Vornamens Maria Alva. Und noch jetzt kann er sich nicht damit abfinden, dass die erste Namensgebung auf das Konto des Königs von Leon, Fernando Magno, gehen soll, wie manche Autoren behaupten. Seine Hoheit sind damals selbstverständlich nicht selbst hier gewesen, um sich davon zu überzeugen, dass der Name Malva zu diesem Berg passte. Irgendein Mönch, der hier vorbeikam, wird ein paar Malven gesehen und gedacht haben, sie seien charakteristisch für die Gegend, und in seiner weltfremden Art gar nicht bemerkt haben, dass in diesem Haus, das heute nur noch eine Ruine ist, das schönste Mädchen weit und breit lebte, deren Name Maria Alva war, wie es der These des Reisenden entsprechen würde. Einem Reisenden mögen Phantasien dieser Art verziehen sein, wer sie nicht zulässt, wird nur schweigende Steine und eine indifferente Landschaft zu Gesicht bekommen.
    Indifferenz und Schweigsamkeit kann man der Burg hier nicht vorhalten. Und auch dem alten Ort, den Straßen, die den Berghang hinaufklettern, und den Menschen, die dort wohnen, nicht. Als der Reisende hinaufgeht, grüßt man ihn mit ruhiger Stimme. Frauen machen Näharbeiten vor den Türen, Kinder spielen. Die Sonne steht auf dieser Seite des Berges, und ihr klares Licht fällt auf die Burgmauern. Es ist Nachmittag und völlig windstill. Der Reisende betritt die Burg, gleich wird ihm der alte Brígida zeigen, wo das Schießpulver lagert, aber im Augenblick ist er noch allein und erkundet, was von nun an für ihn die perfekte Atmosphäre einer Burg ist, bewohnt von unzähligen unsichtbaren Gestalten, ein verhexter Ort, um es mit zwei Worten zu sagen.

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