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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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muss.
    Das Kirchenportal ist barock, aber im Innern gibt es ältere Spuren, wie die Inschrift, die sich auf eine im 12. Jahrhundert verstorbene westgotische Prinzessin bezieht. Aber das wirklich Faszinierende an der Kirche sind die in portugiesischen Kirchen so sonst nicht bekannten Malereien, die lokale Begebenheiten und Legenden darstellen. Zwei Frauen aus dem Dorf begleiten den Reisenden inzwischen, und sie ergreifen die Gelegenheit, wobei sie einander fortwährend ins Wort fallen, um ihm vom Leben und den Wundertaten der Nossa Senhora dos Açores zu berichten. Zuerst einmal der Name. Keine Insel im Atlantik, sondern ein Stück Land in der Beira, das so hart ist, dass der Mondego ihm ausweichen musste, und das dennoch den Namen Açores trägt. Der wiederum seinen Ursprung in einem Wunder hat, das sich zutrug, als der Page eines Königs von Leon seine Hand verlieren sollte, weil ihm der Açor, also der königliche Falke, entwischt war. In seiner Not rief der Page die Jungfrau Maria um Hilfe an, woraufhin der Vogel zurückkehrte. Und schon sind die Frauen beim nächsten Wunder, als nämlich die Jungfrau Maria bei einer Schlacht zwischen Portugiesen und Leonesern eingriff, dann beim dritten, der Auferstehung eines Königssohnes, dessen Vater hierhergepilgert war, und schließlich beim vierten und letzten, der Rettung einer Kuh, die zum großen Kummer ihres Besitzers im Sterben lag. Sicher hat die Nossa Senhora dos Açores noch andere Wundertaten vollbracht, aber es waren nun mal diese hier, die irgendein argloser Mensch der Nachwelt hinterlassen wollte. Die Frauen beklagen sich über den heruntergekommenen Zustand, in dem sich hier alles befindet, und der Reisende beklagt, dass die Frauen recht haben, sich zu beklagen.
    Eigentlich wollte er noch nach Velosa, das zwei Kilometer entfernt liegt, um das Grab einer gotischen Prinzessin zu besichtigen, die auf den wunderbaren Namen Suintiliuba hörte. Aber die Straße macht ihm Angst, er ist nun mal kein besonders mutiger Reisender. Also fährt er lieber da, wo alle fahren, zurück auf die Hauptstraße, Richtung Celorico da Beira, ohne allerdings dort anzuhalten. Sein Ziel ist Linhares, an der Straße nach Coimbra. Solange die Straße keinen Anlass bietet, verfährt er sich auch nicht. Aber als er zurück nach Linhares muss, nimmt er die falsche Abzweigung, und schon bald findet er sich auf Wegen wieder, die wahrscheinlich nicht einmal eine Ziege genommen hätte. Es geht weiter bergauf, dann wieder bergab, und es wird immer schlimmer. Schließlich kommt er an eine Gabelung und muss sich entscheiden. Rechts taucht der Weg hinab in einen dunklen Wald und scheint dort im Nichts zu enden. Vielleicht ist es besser, nach links zu fahren, aber der Reisende will kein Risiko eingehen. Er geht ein Stück zu Fuß, und plötzlich, hier hat bestimmt die Nossa Senhora dos Açores die Finger im Spiel (am Himmel ist ein Falke zu sehen), taucht ein Mann auf. Vorher sollte der Reisende noch erwähnen, dass man von hier aus Linhares sehr gut sehen kann, mit seiner riesigen Burg, die ihn ohne besonderen Grund an Mykene erinnert. Dahinten liegt Linhares, aber wie kommt man dorthin? Der Mann antwortet: »Nehmen Sie diesen Weg. Wenn Sie ein paar Rosenbüsche sehen, sind Sie auf der richtigen Straße.« »Welche richtige Straße?« »Sie wollen doch nach Linhares, oder?« »Aber ich bin einen ganz anderen Weg gekommen.« »Ja, über die Quintãs. Mich wundert, dass Sie es überhaupt bis hierher geschafft haben.« Auch der Reisende staunt, aber er hat keinen Grund, stolz darauf zu sein. Ein geübter Reisender nimmt die Holperpfade nur, wenn es keine anderen gibt oder wenn er die ordentlichen Straßen aus irgendwelchen übergeordneten Gründen verlassen muss. Man nimmt nicht einfach den erstbesten Weg ins Grüne, ohne zu wissen, wohin er führt.
    Linhares ist ein schöner Ort. Kaum ist der Reisende angekommen, schließt er Freundschaft mit dem Leiter der Restaurationsarbeiten in der Igreja da Misericórdia, der der Maurermeister im Dorf ist und ihm mit Freude sämtliche Türen öffnet. Ein Fremdenführer erster Güte. Dieses hier sind die Fahnen der Misericórdia, die eine, die Mariä Himmelfahrt darstellt, ist besonders schön, und hier, mitten auf dem Bürgersteig, steht eine Steintribüne, die früher überdacht war und es jetzt nicht mehr ist, dort versammelte sich der Gemeinderat: Man setzte sich auf die Bänke und diskutierte lauthals lokale Themen, unter den Blicken des Volkes, das

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