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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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Gebäude überragt. In Escarigo, wo es Höhen und Tiefen gibt, sollte man sich erkundigen, wenn man keine Zeit verlieren will.
    Die Kirche ist zu. Kein Grund zur Panik, das ist nicht das erste Mal. Er klopft an eine Tür, nennt den Grund für sein Kommen, man verweist ihn an ein anderes Haus. Dort reagiert keine Menschenseele. Der Reisende geht zurück zum ersten. Da ist niemand mehr, vielleicht hat er ja nur geträumt. Während er nicht recht weiß, was tun, erscheint das von der Vorsehung gesandte unschuldige Kind, das die Wahrheit nicht verbergen kann. Der Reisende stellt seine Frage und bekommt endlich die Antwort, das heißt nicht gleich, aber dann. Wem das zu kompliziert ist, der höre sich bitte folgenden Dialog an: »Entschuldigung, den Schlüssel zur Kirche, bekomme ich den hier?« »Ja, aber der ist jetzt gerade nicht da«, sagt die Frau, die an die Tür gekommen ist. Der Reisende macht ein Gesicht, als wäre eine Katastrophe ausgebrochen, und bohrt weiter nach: »Wenn nicht hier, wo denn dann? Ich komme von weit her, ich habe so viel von der Kirche von Escarigo gehört, und jetzt soll ich wieder abreisen, ohne sie besichtigt zu haben?« Da sagt die Frau: »Kann ja sein, aber der Schlüssel ist nicht da. Es gibt noch einen, in dem Haus dahinten.« Gehorsam blickt der Reisende in die angezeigte Richtung und sieht in etwa zweihundert Meter Entfernung ein hohes, zweistöckiges Haus. Um dorthin zu gelangen, muss man eine Straße hinuntergehen und eine andere wieder hinauf, aber das soll den Reisenden nicht abschrecken. Und er ist schon auf halbem Wege, als er hinter sich jemanden rufen hört. Es ist die Frau von eben: »Hallo, Sie, kommen Sie her.« Er läuft den ganzen Weg wieder hoch, denkt, er bekommt weitere Informationen, aber stattdessen hält die Frau den Schlüssel in der Hand und kommt ihm entgegen, um ihm die Kirche zu zeigen. Manchmal muss man die Welt nehmen, wie sie ist. Diese Frau hat vom ersten Moment an gewusst, dass sie den Schlüssel hat, leugnet es trotzdem und schickt ihn zweihundert Meter weiter, wo vielleicht ein anderer gewesen wäre, aber auch nur vielleicht, um ihn dann zurückzurufen, als wäre nichts gewesen und als wäre er überhaupt eben erst angekommen: »Haben Sie den Schlüssel für die Kirche?« »Ja, habe ich.« Soll ein Mann diese Frau verstehen.
    Sie haben Frieden geschlossen, ohne einander den Grund für ihren Krieg genannt zu haben, und sind jetzt beste Freunde. Der barocke Altaraufsatz in der Kirche ist einer der schönsten, die der Reisende je gesehen hat. Wäre all das im ewig gleichen, vulgären und banalen vergoldeten Stil, verdiente es nicht mehr als einen Blick, für den Laien jedenfalls. Aber die Farbigkeit der Schnitzereien mit ihren Rot-, Blau- und Goldtönen, mit Spuren von Grün und Rosa, ist so harmonisch, dass man sie stundenlang betrachten könnte. Vier Pelikane stützen den Thron, und auf der Tür des Tabernakels ist ein triumphierender Jesus inmitten von Engeln und Voluten abgebildet. Und die knienden, Kerzen tragenden Engel an den Seiten des Altars, mit großen Blumen und Palmwedeln bekleidet, sind bewundernswerte Beispiele volkstümlicher Kunst. Eine der Abbildungen auf dem Retabel zeigt einen fabelhaften heiligen Georg, der ohne Schwert oder Lanze einen schlangenköpfigen Drachen bezwungen hat. Die geschnitzten Säulen eines Seitenaltars, an denen die Farbe fast komplett abgesprungen ist, gehen in zwei wunderschöne Engelsköpfe in Hochrelief über. Auch sehr interessant ist die Decke des Hauptschiffs, aber besonders angetan haben es dem Reisenden die beiden Tafelbilder, die ein weiteres Retabel schmücken und eine Mariä Verkündigung und einen Besuch der Jungfrau bei der heiligen Anna zeigen; die Zeichnungen sind so rein, die Komposition so gelungen, wenn auch naiv, dass er froh ist, die lange Reise auf sich genommen und um diesen Schlüssel gekämpft zu haben, aber lassen wir das, jetzt befindet er sich in angeregtem Gespräch vor einem verstümmelten heiligen Sebastian in der Sakristei, vielleicht dem ersten, von dem der Reisende wirklich ergriffen ist.
    Der Reisende geht durchs Dorf und trifft ein Mädchen, dem er einen guten Tag wünscht. Sie grüßt zurück, wie auch eine alte Frau, die bei ihr ist, und schon entspinnt sich zwischen ihnen ein Gespräch über verborgene Schätze. Die alte Frau sagt, dass früher, als man noch Kriege mit den Spaniern führte, die wohlhabenderen Leute von Escarigo ihr Geld in Höhlen irgendwo in den Felsen

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