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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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Über diesem Platz, wo die Zisterne und der Säulenpranger stehen, schwebt zwischen Licht und Schatten ein stilles Murmeln. Hier sieht man Überreste von Bauwerken, den Bergfried, den Gerichtshof, das Gefängnis, andere, die nicht mehr zu identifizieren sind, und es ist das Ganze, diese Ansammlung von Ruinen, das Geheimnisvolle, das sie verbindet, die Präsenz der Menschen, die hier einst lebten, das den Reisenden plötzlich tief ergreift, ihm den Hals zuschnürt und ihm die Tränen in die Augen treibt. Statt daraus zu schließen, der Reisende sei ein Romantiker, möge man lieber feststellen, dass er großes Glück hat, an diesem Tag zu dieser Stunde hierhergekommen zu sein, allein zu sein und die Sensibilität zu besitzen, diese spürbare Präsenz der Vergangenheit aufzunehmen und festzuhalten, der Geschichte, der Männer und Frauen, die in dieser Burg gelebt, geliebt, gearbeitet, gelitten haben und gestorben sind. Der Reisende verspürt in der Burg von Marialva ein Gefühl großer Verantwortung. Einen Moment lang, und zwar so intensiv, dass es unerträglich ist, sieht er sich als einen Mittelpunkt zwischen dem, was war, und dem, was kommen wird. Wer das hier liest, möge versuchen, sich selbst einmal so zu sehen und dann zu beschreiben, wie er sich dabei gefühlt hat.
    Malva, Maria Alva, Marialva. Fast den ganzen restlichen Nachmittag läuft der Reisende über diese Steine und durch diese Straßen. Der alte Alfredo Brígida kommt und zeigt ihm, als enthüllte er ein Geheimnis, die Truhe mit dem Schießpulver, den Grabstein am Eingang zur Burg, den Schiffsbug, an den einer der Türme erinnert; und dann geht er mit dem Reisenden in den Ort hinein, um ihm die alten Häuser zu zeigen und die Gesichter der Menschen, die Igreja de Santiago, die in den nackten Fels gehauenen Gräber wie die in Moreira de Rei. Die Sonne geht langsam unter. Die Burg leuchtet auf der einen Seite in goldenem Licht, auf der anderen ist sie in dunklen Schatten getaucht. Der Reisende ist wieder allein, geht die Straßen hinauf, inzwischen schon ein alter Bekannter: »Na, immer noch hier?«, um noch einmal in die Burg zu schauen, in die dunkelsten Winkel, als erwartete ihn dort irgendeine Offenbarung, eine Erklärung für alles.
    Dann fährt er weiter, durch die ebene Landschaft, die Sonne steht auf der Höhe seiner Augen, irgendetwas in ihm ist gewachsen, seit er in der Burg von Marialva war. Oder es ist die Burg, die ihn begleitet und ihn größer macht. Auf einer Reise wie dieser kann alles passieren.
    Ganz langsam fährt er zurück. Vorbei an Póvoa do Concelho im letzten Licht des Tages, ein Blick auf die Casa do Alpendre, und als er Guarda erreicht, ist es Abend. Zeit zu essen. Und da der Mensch weder von Burgen und den Tränen, die er dort in den Augen hatte, noch von der Verantwortung leben kann, Bogen oder Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft zu sein, will er hier von der opulenten Wurstplatte »à Moda da Guarda« berichten, die er gegessen hat. Allerdings mit einem Vorbehalt, nämlich, dass man sie doch bitte fortan »ao Modo da Guarda« nenne, wie es in ordentlichem Portugiesisch heißen muss. Dass aus Malva Marialva wurde, kann der Reisende noch hinnehmen, aber nicht, dass man »nach Mode« statt »nach Art« sagt. Mode ist zum Anziehen da, und die Art ist zum Verstehen da. Ich hoffe, wir verstehen uns.

Um Haaresbreite Lissabon
    Der Reisende ist ein Flusshüpfer. Allein die Strecke bis Vilar Formoso führt ihn über einen Nebenfluss des Noemi, dann über den Cabras, den Pínzio, wieder den Cabras (der nach Norden abgedrängt wird, so wie der Mondego nach Süden abgedrängt wurde), den Gaiteiros, den er fast verfehlte, und den Côa, ganz zu schweigen von Tausenden von kleinen Bächen, die je nach Jahreszeit Wasser führen oder trocken sind. Da wir März haben, führen alle Wasser, und an den Ufern wuchert es, heute sind wieder mehr Wolken am Himmel, aber sie schweben weit oben und sind ganz leicht, es steht nichts zu befürchten.
    Die erste Station des Tages ist Castelo Mendo. Von weitem gesehen wirkt der Ort wie eine Festung, umgeben von Mauern, am Ortseingang stehen zwei Türme. Von nahem ist er das immer noch, hinzu kommt die völlige Verlassenheit, die Melancholie einer toten Stadt. Stadt, Städtchen, Dorf. Man weiß nicht recht, wie man einen Ort nennen soll, der von allem etwas hat und das auch bewahrt. Der Reisende dreht eine Runde, sieht sich den alten Gerichtshof an, der restauriert wird, weshalb es nur die dicken

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