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Die Porzellanmalerin

Titel: Die Porzellanmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Marten
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Fenster, in der Hoffnung, doch noch eine kühle Brise abzufangen. Johannes Zeschinger fächelte sich mit einer Skizze Erfrischung zu, statt sie als Vorlage zu nutzen. Auch er schien in Gedanken versunken.
    Der Brenner, den Benckgraff im Verdacht hatte, absichtlich Fehlbrände zu verursachen, ein mürrischer Schweizer mit einem Akzent, den kaum jemand in Höchst verstand, lief über den Flur. Er warf ihr einen misstrauischen Blick zu. Wahrscheinlich glaubte er ihr kein Wort von der Geschichte, dass der Durchzug ihr Zimmer abkühlte, grinste Friederike in sich hinein. Auch der Lehrjunge, der nicht eingeweiht war, schien die Welt nicht mehr zu verstehen; immer wieder mussten Johannes oder sie ihn daran hindern, die Tür zum Flur zu schließen, um den Ofendunst auszusperren.
    Ob der Schweizer wirklich ein Verräter war?, fragte sie sich. Wenn ja, für wen sollte er arbeiten? In der Schweiz gab es, soweit sie wusste, noch keine einzige Porzellanmanufaktur.
    Das Rattern von Kutschenrädern auf dem Hofpflaster riss sie aus ihren Überlegungen. Für einen Moment setzte ihr Herzschlag aus. Ob das der neue Kollege war?
    Betont langsam erhob sie sich von ihrem Arbeitsplatz und trat ans offene Fenster. Der Kutscher sprang vom Bock, riss den
Schlag auf und redete auf den Reisenden ein. Friederike konnte nicht sehen, wer sich hinter den breiten Schultern und dem radförmigen Sonnenhut des Kutschers verbarg. Sie zwang sich, ihren Platz wieder einzunehmen und ruhig weiterzuarbeiten, als wäre nichts geschehen. Wahrscheinlich ein Kunde, der eine neue Bestellung aufgeben wollte, versuchte sie sich einzureden.
    »Den habe ich hier aber noch nie gesehen!«, meinte der Lehrjunge, der nicht aufstehen musste, weil er von seinem Arbeitsplatz aus den ganzen Hof überblicken konnte. »Sieht nach einem feinen Herrn aus«, fügte er beeindruckt hinzu.
    Als Friederike sich erneut erhob und ans Fenster trat, war der Fremde schon bei der Eingangstür angelangt und von oben nicht mehr zu sehen. Die nass geschwitzten Pferde zogen die Kutsche wieder an. Sie schaute zu Johannes Zeschinger hinüber, der ihren Blick mit verschwörerischer Miene erwiderte, denn außer ihnen beiden und ihrem kürzlich eingestellten Obermaler Simon Feilner wusste niemand, dass ein weiterer neuer Mitarbeiter erwartet wurde.
    Federnde Schritte erklangen auf der Treppe, die zu Benckgraffs Bureau führte. Sie kamen ihr vage vertraut vor. Konnte das sein? Dass man jemanden an seinem Schritt erkannte?
    Johannes hatte sich längst wieder in seine Skizzen vertieft, der Lehrjunge starrte weiter untätig aus dem Fenster. Friederike spürte, wie ihr Puls raste. Jetzt war er also da, der Moment, den sie seit Wochen fürchtete. Still und ruhig saß sie auf ihrem Stuhl und versuchte, gleichmäßig zu atmen. Noch nie im Leben hatte sie eine solche Panik gespürt. Weder der Überfall bei Hanau noch der Brand im »Anker« hatten dieses lähmende Angstgefühl in ihr verursacht. Auf eine Katastrophe warten zu müssen war viel schrecklicher als die Katastrophe selbst. Dabei war nicht einmal ihr Leben bedroht. Im schlimmsten Fall würde man sie mit Schimpf und Schande aus der Stadt jagen. Sich über sie lustig machen. Sie beleidigen.
    Die Zeit verrann unendlich langsam. Am liebsten wäre sie
aufgestanden und ohne einen Ton zu sagen aus dem Raum gegangen, den Korridor entlang zur Tür und auf die Straße hinaus, bis nach Hause, um dann die Stadt zu verlassen. Aber das waren alles bloß Gedankenspiele, sie würde natürlich bleiben und die Sache durchstehen.
    Nur noch ein paar Atemzüge, und alles ist anders, schoss es ihr durch den Kopf, als sie die Schritte die Treppe wieder herunterkommen hörte. Aber es war nur einer von Benckgraffs Schreibergehilfen, dessen pockennarbiges Gesicht im Türrahmen erschien.
    »Wie können Sie diese Hitze aushalten?«, fragte er statt einer Begrüßung. »Warum machen Sie die Tür nicht zu? Selbst bei uns oben ist es nicht so stickig wie hier.«
    »Das lassen Sie mal unsere Sache sein.«
    Johannes Zeschingers Stimme klang schlapp. Er hatte nicht einmal mehr die Energie, sich umzudrehen und dem Mann, einfach nur weil es die Höflichkeit gebot, einen Blick zu gönnen.
    Als fiele ihm plötzlich wieder der Grund seiner Anwesenheit ein, beeilte sich der Gehilfe, seinen Auftrag auszuführen.
    »Herr Direktor Benckgraff möchte Sie sprechen. Jetzt gleich. Sie beide.«
    Johannes erhob sich träge. Friederike rührte sich nicht.
    »Was ist los mit dir?«, fragte der

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