Die Porzellanmalerin
befreien. Wir müssen den Kadaver erst rausholen - oder die ganze Stube ist voller Qualm.«
Er setzte eine bedauernde Miene auf.
Der Perückenmacher sah ihn erstaunt an.
»So etwas habe ich ja noch nie gehört! Ich zahle für das Feuer, kein Problem. Setzen Sie es auf die Rechnung. Aber machen Sie den Kamin an!«
»Das geht wirklich nicht. Ich feilsche nicht mit Ihnen - der Vogel steckt wirklich im Kamin.«
»Das ist doch nicht die Möglichkeit!«, rief die Dame aus Lyon ein weiteres Mal.
»Die halten uns absichtlich hier gefangen, weil kein Mensch freiwillig an einem solchen Ort übernachten würde«, vermutete der Perückenmacher. Zum ersten Mal an diesem Tag wirkte er nicht mehr ganz so gut gelaunt.
Ein pferdegesichtiges Mädchen, das eine vage Ähnlichkeit mit dem Posthalter aufwies, brachte ihnen Schwarzbrot, kalten Braten und einen Krug sauren Wein. Jeder erzählte nun seine Lieblingsanekdote einer wirklich katastrophalen Reise: von stinkenden, zänkischen Reisegefährten, sturztrunkenen Postillionen, diebischen Posthaltern ebenso wie von Raubüberfällen, Achsenbrüchen und langen Zwangsaufenthalten auf matschigen Wiesen. Auch Friederike gab die eine oder andere Geschichte zum Besten, schließlich hatte sie auf ihrer Reise von Meißen nach Höchst genug Abenteuer erlebt. Doch mit ihren Gedanken weilte sie woanders. Immer wieder schielte sie unauffällig zu Carl Bogenhausen hinüber, der am anderen Ende des Tisches saß. Sie hatte absichtlich mit keinem Wort auf ihr gemeinsames
Erlebnis im Hanauer Wald angespielt, als »Richard Hollweg« sie aus den Händen der Wegelagerer befreit hatte. Eine wunderbare Anekdote zwar, die ihre Reisegefährten sicher äußerst unterhaltsam gefunden hätten, aber sie hielt es für besser, Bogenhausen nicht unnötig aufzuregen. Wer weiß, dachte sie, wie er darauf reagiert, wenn ich durchblicken lasse, dass wir uns schon länger kennen. Bestimmt verachtet er mich dann noch mehr …
Sie nahm einen großen Schluck Wein. Auch wenn das saure Gesöff ihr jedes Mal wieder die Eingeweide zusammenzog, so hatte es immerhin dafür gesorgt, dass ihr nicht mehr ganz so kalt war. Noch dazu hatte der Wein die angenehme Nebenwirkung, dass sie sich zunehmend mutiger fühlte. Und diesen Mut brauchte sie unbedingt, wenn sie mit Carl Bogenhausen endlich Tacheles reden wollte. Sie war dem Posthalter aufrichtig dankbar gewesen, dass er keine frischen Pferde für ihre Reisegruppe mehr zur Verfügung gehabt hatte. Ihr kam die erzwungene Unterbrechung der Kutschfahrt wie gerufen. So würde sich bestimmt eine Gelegenheit finden, allein mit Bogenhausen zu reden, hatte sie sofort gedacht, als die Nachricht verkündet worden war.
Kaum war die Mahlzeit beendet, wollte der Posthalter seinen unfreiwilligen Gästen auch schon ihr Nachtquartier zeigen. In dem mit Stroh ausgelegten Raum gleich neben der Wirtsstube lagen bereits zwei Gestalten am Boden, die lauthals schnarchten. Friederike meinte den Conducteur und den Postillion zu erkennen.
»Ganz frisch!«, pries der Wirt sein Stroh an.
»Oh non!« , entfuhr es der Französin.
Nur der Soldat begab sich schnurstracks in eine Ecke, legte seinen Degen ab und schlüpfte in das Stroh.
Die sonnige Miene des Peruquiers hatte sich vollends verdüstert. Er hielt dem Posthalter einen Gulden vor die Nase.
»Vielleicht zeigen Sie uns jetzt die restlichen Zimmer!«, sagte er ungewohnt scharf.
Der Wirt setzte ein schlaues Gesicht auf. Langsam ließ er seinen Blick von der Seidenfabrikantin zu Friederike und von Friederike zu Carl Bogenhausen wandern, als könnte er sich nicht entscheiden, wo er die Schatzsuche fortsetzen sollte.
»Sind Sie verrückt, Mann!«, platzte nun Letzterem der Kragen. »Sie bekommen einen ganzen Gulden dafür, dass Sie uns auf akzeptable Weise unterbringen. Einen ganzen Gulden! Das reicht, um die Unterkunft und Verpflegung für uns alle zu bezahlen. Sie bekommen keinen Kreuzer mehr - erst recht nicht, wenn Sie jetzt nicht endlich voranmachen!«
» Exactement «, stimmte die Französin mit wild entschlossener Miene zu. Vorwurfsvoll wandte sie sich an den Peruquier.
»Ein Taler ist viel zu viel. Sie verderben die Preise, Monsieur.« Der Wirt schien seine Felle davonschwimmen zu sehen, jedenfalls holte er nun eilig eine Laterne, um mit ihnen über den Burghof zum Turm zu gehen. Die eisenbeschlagene Holztür knarrte, als er sie schwerfällig zurückschob. Hintereinander stiegen sie die enge Wendeltreppe mit den ausgetretenen Steinstufen
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