Die Porzellanmalerin
wollen, schloss der Conducteur energisch die Luke und drehte sein rotes Gesicht wieder in Richtung Pferderücken.
Es war dem Uhrmacher anzusehen, wie er hektisch seine Möglichkeiten im Kopf hin und her wälzte.
»Wann etwa werden wir in Darmstadt sein?«, fragte er schließlich in die Runde.
»Gegen zehn«, meldete sich nun der Jude zu Wort. »Die Kutsche ist immer pünktlich. Ich fahre die Strecke jede Woche. Wir sind jedes Mal um zehn Uhr da.«
Sein Akzent klang singend. Offenbar hatte er seine Versuche zu schlafen aufgegeben. Er kramte so lange in seinem weiten Mantel herum, bis er einen Stapel Papier und eine Lupe hervorgezogen hatte, die er sich dicht vor die Augen hielt, um trotz des Dämmerlichts noch seine Dokumente studieren zu können.
Friederikes Magen hatte schon vor einer ganzen Weile zu revoltieren begonnen. Die Straße war extrem holprig; immer wieder hopsten sie alle gleichzeitig in die Höhe, wenn es zum x-ten Mal durch ein Schlagloch ging. Nach der ersten, zugegebenermaßen äußerst köstlichen Praline hatte sie keine weitere mehr angenommen, um ihren Bauch nicht noch zusätzlichen Belastungen auszusetzen. Dafür hatte sie wieder einmal unauffällig zu Carl Bogenhausen hinübergeschielt. Sie fühlte ein immenses Bedürfnis, mit ihm zu sprechen, endlich das dumme Zerwürfnis zwischen ihnen zu beseitigen. Ihm konnte sie vertrauen, das spürte sie, ihm gegenüber konnte sie unbesorgt ihr
Geheimnis lüften und ihm gestehen, dass sie eigentlich eine Frau war. Womit dem fatalen Kuss vielleicht wenigstens im Nachhinein das eigentlich Prekäre genommen wäre … Carl Bogenhausen war schließlich selbst ein Mann voller Rätsel, ja, bestimmt war er in der Lage, die Geheimnisse anderer Menschen tief in seinem Inneren zu verwahren. Hier in der Kutsche aber konnte sie unmöglich mit ihm reden, hier waren zu viele Lauscher um sie herum. Ob er wohl wirklich nach Straßburg unterwegs war, wie sein Bruder angedeutet hatte? Sie konnte nur hoffen, dass er nicht schon an der nächsten Poststation aussteigen und sie gar nicht dazu kommen würde, ihr Geständnis abzulegen.
Um kurz nach zehn hielten sie in Darmstadt an. Kaum wurde von außen der Schlag geöffnet, sprang der Uhrmacher, noch bevor der Tritt ausgeklappt war, aus dem Wagen. Friederike sah ihm nach, wie er in die Poststation stürmte. Der alte Jude stand ebenfalls auf, nickte grüßend in die Runde und schüttelte dann als Einzigem Carl Bogenhausen die Hand und raunte ihm etwas zu. Sie beschloss, die Kutsche ebenfalls zu verlassen, um sich die Beine zu vertreten, und kletterte ins Freie. Auf den Mann mit den Schläfenlocken wartete ein prächtiger Achtspänner mit einem großen Wappen auf den Türen. Ein livrierter Diener half ihm beim Einsteigen. Das übergewichtige Ehepaar und die Dame aus Lyon liefen, ins Gespräch vertieft, an ihr vorbei zum Gasthof. Ein Stallknecht machte sich daran, die Pferde auszuschirren. Friederike ging zurück zur Kutsche, um nach Carl Bogenhausen zu schauen, aber dieser war nicht mehr an seinem Platz. Sosehr sie sich auch nach allen Seiten umsah, er blieb verschwunden. Nun hatte sie ihn doch verpasst!
Eine blässliche Wintersonne versuchte, hoch in den Himmel aufzusteigen. Weiter als bis zur Hälfte des Horizonts schien sie es jedoch nicht zu schaffen. Es war zu kalt, um draußen herumzustehen, deshalb machte sich auch Friederike schließlich auf in die Gaststube.
»Es geht gleich weiter!«, rief der Conducteur ihr nach.
Im Passagierraum prasselte ein Feuer im Kamin. Sie setzte sich in die Nähe ihrer Reisegefährten an einen langen Tisch. Es dauerte keine Minute, bis der Wirt ungefragt einen Becher Würzwein vor ihr abstellte.
»Essen gibt es noch nicht«, erklärte er. »Sie sind die Ersten, die hier heute durchkommen. Wir haben gerade erst angefangen zu kochen.«
Er warf der dicken Frau mit der dreireihigen Perlenkette, die einen großen Laib Brot aus ihrem Picknickkorb gezogen hatte, einen ungnädigen Blick zu. Zusammen mit der Französin vertiefte sich die Dame kauend in ein voluminöses Buch, alle beide mit einer Scheibe Brot in der Hand. Der Perückenträger zog eine Dose Schnupftabak hervor und streute sich eine Prise auf die Hand. Jeder hatte einen Becher dampfenden Wein vor sich stehen. Friederike traten die Tränen in die Augen, so stark war er gewürzt. Sie konnte ihn kaum trinken, ohne zu husten. Von Carl Bogenhausen fehlte jede Spur.
»Das ist eine besonders feine Atlasseide. Wir färben sie in allen
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