Die Porzellanmalerin
seine patrizische Höflichkeit eher noch. Er lächelte sogar leicht. Doch seine Augen blickten wie immer kühl und abweisend.
»Ja, hier liegt in der Tat ein Missverständnis vor, das ich gerne aus der Welt schaffen würde«, erwiderte sie mit bebender Stimme.
»Das Missverständnis ist, dass Sie partout nicht einsehen wollen, dass ich mit Ihnen nichts zu tun haben möchte. Wie deutlich muss ich Ihnen das noch zeigen? Sie belästigen mich, Herr Rütgers! Ich bin ein sehr geduldiger Mensch, aber irgendwann reicht es auch mir.« Sein Tonfall war noch immer höflich, fast freundlich, als er fortfuhr: »Lassen Sie mich endlich in Ruhe! Ich habe nichts gegen Männer, die andere Männer lieben, aber ich gehöre nun mal nicht zu dieser Spezies. Das sollte Ihnen doch inzwischen klar sein! Wenn Sie nicht endlich aufhören, mich zu belästigen, sehe ich mich leider gezwungen, Sie zum Duell zu fordern. Und jetzt gute Nacht!«
Unversehens hatte er mit der linken Hand der Tür einen kräftigen Stoß versetzt, doch bevor diese zuschlagen konnte, hatte Friederike auch schon ihren Fuß in den Türspalt gestellt. Mit der Stiefelspitze schob sie den Spalt weiter auf und zwängte ihre beiden Schultern zwischen Türblatt und Rahmen. Seine Verblüffung nutzend, erklärte sie hastig:
»Ich bin kein Mann, Herr Bogenhausen. Ich bin eine Frau. Das ist das Missverständnis.«
Die höfliche Maske fiel nun endgültig von seinem Gesicht ab.
»Jetzt hören Sie mir endlich mit diesem schwulen Kram auf, Herr Rütgers!«, sagte er mit schneidender Stimme, jedoch ohne sie anzusehen. »Ich bin nicht an Ihnen interessiert, egal, wer oder was Sie sind. Ich bin nicht vom anderen Ufer, verstanden? Und jetzt belästigen Sie mich gefälligst nicht weiter!«
»Ich bin auch nicht vom anderen Ufer, ich bin kein schwuler Mann, ich bin überhaupt kein Mann, ich …«
Wie sollte sie ihm nur ihre Situation erklären? Offenbar wollte er sie einfach nicht verstehen. Verzweifelt schüttelte sie den Kopf. Eine Strähne löste sich aus ihrer Frisur.
Einer Eingebung folgend streifte sie das Samtband von ihrem
Zopf und fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar. In einem dichten Kranz fiel es ihr nun bis auf die Schultern. Sie konnte den Duft riechen, der von ihm ausging.
Carl Bogenhausen hatte die Pistole gesenkt und starrte sie mit offenem Mund an.
»Ich habe mich als Mann verkleiden müssen, um daheim in Meißen einer arrangierten Ehe zu entgehen und allein nach Höchst reisen zu können«, erklärte sie schnell. »Wie Sie wissen, war mein sehnlichster Wunsch, in der dortigen Porzellanmanufaktur zu arbeiten. Als Frau hätte man mich nie eingestellt. Also bin ich eben ein Mann geworden.«
Sie hatte noch immer Angst, er könnte ihr gleich die Tür vor der Nase zuschlagen, aber Carl Bogenhausen schien es nicht nur die Sprache verschlagen zu haben, er wirkte auch sonst wie gelähmt. Perplex starrte er sie an. Ihr kam es wie eine Ewigkeit vor, bis er endlich mit ungläubigem Unterton stammelte:
»Sie … Sie sind gar kein Mann? Sie haben sich nur als Mann verkleidet?«
Sie nickte bestätigend, obwohl eine Antwort gar nicht mehr nötig war: Seinem Gesicht war deutlich anzusehen, dass er endlich begriffen hatte. Aber statt seine Erleichterung und Freude über das geklärte Missverständnis zum Ausdruck zu bringen, sagte er nun schon wieder gefasst und mit kühler Stimme:
»Ich danke Ihnen für Ihre Offenheit, Herr … nein … äh, ich meine, Fräulein Rütgers. Damit wäre die Sache ja jetzt geklärt, und wir können endlich schlafen gehen. Gute Nacht also!«
Er klang wie ein Geschäftsmann, den man mit einer nicht eben angenehmen Nachricht überrascht hatte, der aber gewohnt war, stets die Contenance zu wahren und auch bei noch so verblüffenden Wendungen so zu tun, als verliefe alles nach Plan. Mit seinem bestrumpften Fuß schob er langsam, aber bestimmt ihren Stiefel aus dem Türspalt.
»Gehen Sie jetzt bitte! Gute Nacht!«, wiederholte er etwas freundlicher.
Die schwere Holztür war schon fast ins Schloss gefallen, als er noch einmal den Kopf durch die Lücke steckte.
»Und erklären Sie mir bitte, warum Sie mich damals geküsst haben.« Er grinste sie an. »Aber nicht jetzt - wir müssen beide dringend schlafen. Wir werden ja vielleicht noch ein Stück zusammen weiterreisen.«
Damit hatte sich die Tür endgültig geschlossen. Einen Moment blieb sie noch reglos im Treppenhaus stehen und lauschte dem herzhaften Lachen, das aus dem Zimmer drang.
Das
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