Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Porzellanmalerin

Titel: Die Porzellanmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Marten
Vom Netzwerk:
ich aber schon den Brief mit dem aufgebrochenen Siegel auf Boileaus Schreibtisch entdeckt. Der Direktor muss meinem Blick gefolgt sein, jedenfalls meinte er auf einmal, dass ihm der König persönlich geschrieben und seinen Besuch angekündigt hätte.« Listig blickte er in die Runde. »Ihr wisst, was das bedeutet, oder?«
    »Wahrscheinlich will er eine größere Bestellung aufgeben«, mutmaßten der junge und der alte Sioux im Chor. Im Gegensatz zu seinem eher mittelmäßig begabten Sohn war der Vater in der Lage, Randornamente zu produzieren, die selbst für die Verhältnisse in Vincennes außerordentlich kunstvoll waren.
    »Vielleicht will er uns ja auch einfach mal besuchen …«
    Jean-Jacques Anthaume konnte zwar wunderbare Landschaften
und Tiere malen, aber für besonders geistreich hatte Friederike ihn noch nie gehalten.
    »Ich glaube eher, er will hier Ordnung schaffen«, schaltete sich nun der alte Jean-Adam Mathieu ein. Er war eigentlich Hofemailleur in Versailles und entwarf lediglich die Dekorentwürfe für die Porzellanmanufaktur. Friederike hatte ein ganz besonderes Verhältnis zu ihm entwickelt, seit er ihr erzählt hatte, dass er in Stralsund geboren war. Mit ihm konnte sie Deutsch sprechen und Scherze machen, die die anderen Kollegen nicht verstanden. Für ihren Geschmack weilte Mathieu viel zu selten in Vincennes. Gleichzeitig war er natürlich eine gute Quelle für den neuesten Tratsch vom Hof.
    »Ordnung?«, fragte Le Guay gedehnt. Er schien gar nicht damit einverstanden zu sein, dass ihm jemand die Schau zu stehlen drohte. »Hier ist doch alles in bester Ordnung - was willst du denn? Seit Boileau die Geschäfte übernommen hat, geht es doch in jeder Hinsicht bergauf.«
    »Das mag ja sein …« Der alte Mathieu ließ sich nicht beirren. Sein zerfurchtes Gesicht unter dem weißen Haarschopf strahlte große Ruhe aus. »Aber es ist doch eine Tatsache, dass der König das Gefühl hat, nicht genug Einblick in die Manufaktur zu haben. Und zwar sowohl in kaufmännischen Belangen als auch, was die Produktion selbst betrifft. Ich habe gehört, dass er nach neuen Räumlichkeiten Ausschau hält, und zwar in der Nähe von Versailles. Vincennes ist ihm einfach zu weitab vom Schuss.«
    Die Männer zogen lange Gesichter. Ein Umzug - das würde für die meisten von ihnen einen großen Einschnitt in ihr Leben bedeuten. Fast alle Mitarbeiter der Manufaktur hatten Familie in La Pissotte und Umgebung.
    »Außerdem«, nahm Mathieu den Faden wieder auf, »außerdem habe ich gehört, er sei ganz begeistert von einer Zuckerdose en bleu lapis gewesen, die ein gewisser Friedrich Christian Rütgers aus Meißen bemalt haben soll. Und jetzt möchte er den jungen Künstler aus Sachsen unbedingt persönlich kennenlernen.«

    Schmunzelnd hatte er sich zu Friederike umgedreht, die jedoch ganz und gar nicht begeistert von seinem Vorstoß war, sondern am liebsten im Erdboden versunken wäre. Auf keinen Fall wollte sie hier in der Manufaktur auffallen! Sie warf einen verstohlenen Blick in die Runde. Auf den meisten Gesichtern las sie unverhohlenen Neid. Die Kollegen arbeiteten alle seit Jahren in der Manufaktur, und noch nie hatte der König sich für die Arbeit einer der Ihren interessiert. Alle wussten sie natürlich, auf wessen Empfehlung Friederike ihre Anstellung bekommen hatte. Und jetzt auch noch der König!
    Doch bevor die Kollegen auf sie losgehen konnten, drangen schon Schritte und Wortfetzen aus dem Korridor in die Malerstube, und sämtliche Anwesenden spitzen die Ohren.
    »Tretet ein, Sire«, war in dem Moment die Stimme des Direktors zu vernehmen, die einen ungewohnt unterwürfigen Tonfall angenommen hatte.
    Wie auf Kommando stoben die Maler, die sich um Le Guay geschart hatten, zurück an ihre Plätze. Der Vergolder selbst schien zu perplex, um an seinen Arbeitstisch zu eilen. Als Louis XV., dicht gefolgt von Boileau, Bachelier und zwei Lakaien, den Raum betrat, blieb ihm nichts anderes übrig, als in einen tiefen Kniefall zu versinken.
    »Stehen Sie auf, Messieurs!«, ertönte die sonore Stimme des Königs. »Ich kann zwar leider nicht behaupten, dass ich heute inkognito unterwegs wäre und Sie mich ruhig wie einen der Ihren behandeln könnten, dazu ist mein Konterfei in diesem Land zu bekannt, aber immerhin ist es mir gelungen, bis auf diese beiden Vertreter hier« - mit einem leutseligen Grinsen wies er auf die zwei Diener an seiner Seite - »meinen gesamten Hofstaat abzuschütteln und mich sozusagen als Privatier

Weitere Kostenlose Bücher