Die Porzellanmalerin
bisschen Wasser oder vielleicht auch ein bisschen Rindsleim genügt, um sie wieder neu anzurühren. Fantastisch, oder?«
Aufrichtige Begeisterung schwang in seiner Stimme mit.
Friederike hatte sich nach Kräften bemüht, seinem Vortrag aufmerksam zu lauschen. Doch sie hatte zunehmend gegen ihre aufsteigende Übelkeit ankämpfen müssen und kaum etwas davon mitbekommen. Schweißtropfen hatten sich auf ihrer Stirn gebildet, ihre Hände zitterten. Das Unwohlsein, das sie schon die ganze Zeit beschlichen hatte, war stärker geworden. Sie hatte das Gefühl, sich jeden Moment übergeben zu müssen.
»Frédéric, was ist los? Du bist ganz blass!«
Besorgt schaute Henriette zu ihr hinüber.
»Entschuldigt mich«, stammelte Friederike. »Ich kann nicht mehr weiteressen. Mir ist übel, ich glaube, ich muss …«
Sie sprang auf und stürzte zur Tür hinaus, um sich hinter einem Busch zu erbrechen. Auf wackeligen Beinen kehrte sie nach einigen Minuten in das kleine, dunkle Esszimmer der Gravants zurück. Henriette brachte sie sofort in ihr Kämmerchen und half ihr, die Stiefel auszuziehen und sich ins Bett zu legen.
Lange drehten sich ihre Gedanken im Kreis, als sie in dem abgedunkelten Raum lag und Schlaf zu finden versuchte. Hin und wieder hörte sie gedämpftes Kinderlachen oder das leise Krähen des Neugeborenen. Blau, gelb, rot, grün, gold - lauter Farben verschwammen vor ihren Augen. Ihre Nase nahm Gerüche
auf, die ihr völlig ungewohnt erschienen, obwohl sie ganz alltäglich waren: der leichte Gestank nach Terpentin, der ihrer achtlos über den Stuhl geworfenen Arbeitsjacke entstieg, der Lavendelduft, der in dem frisch gewaschenen Bettzeug hing, der Geruch nach Blutwurst und feuchten Kleidern, der aus dem Nachbarzimmer drang.
Was war nur mit ihr los, dass sie sich so schwach fühlte? Und dann noch diese Übelkeit! So erschöpft war sie lange nicht mehr gewesen, eigentlich noch nie, wenn sie länger darüber nachdachte. Sicher, die letzten Wochen waren vollgestopft gewesen mit neuen Eindrücken. Sie hatte sich in ihre Arbeit einfinden und die Kollegen kennenlernen müssen, stets auf der Hut, sich weder als Frau noch als Spion aus Höchst zu verraten, sie hatte von morgens bis abends Französisch sprechen müssen, und überdies hatte sie immer wieder mit ihren Gefühlen zu kämpfen gehabt: Auf der einen Seite war da die an manchen Tagen kaum auszuhaltende Sehnsucht nach Carls starker Schulter und seinem herzlichen Lachen gewesen, gepaart mit einer zunehmenden Wut auf ihn, weil er sich einfach nicht bei ihr meldete. Und auf der anderen Seite hatte sie vermehrt wieder an Giovanni gedacht, hatte der ständige Anblick des Donjons sie fast jeden Tag an den schrecklichen Gefängnistraum erinnert.
Friederike kannte sich selbst nicht wieder. Was ist nur mit mir los?, fragte sie sich zunehmend verzweifelter. Ihre Übelkeit war beinah völlig verschwunden, dafür musste sie jetzt gegen die Tränen ankämpfen. Durch den Spalt zwischen den Vorhängen konnte sie in die schwarze Nacht draußen schauen. Sie wollte noch einmal aufstehen, um sich bei den Gravants zu entschuldigen, ihnen wenigstens Gute Nacht sagen, nachdem sie den Abendbrottisch so fluchtartig verlassen hatte. Doch bevor sie nur ein Glied rühren konnte, war sie schon in einen tiefen, traumlosen Schlaf gesunken.
»Der König kommt!«
Der sonst so auf seine Unerschütterlichkeit bedachte Etienne-Henri Le Guay fuhr sich mit der farbverschmierten Hand nervös durchs Haar. Er stand auf der Schwelle zur Malerstube und genoss sichtlich die plötzliche Aufmerksamkeit der Kollegen. Manche waren von ihren Stühlen aufgesprungen und auf ihn zugetreten. Andere zeigten sich, wie Friederike, nur mäßig beeindruckt und blieben an ihren Arbeitsplätzen in dem hohen Raum mit den vielen Vorlagebildern an den Wänden sitzen. Immerhin hatte sie den Blick von der eiförmigen Teekanne gehoben, an der sie gerade arbeitete, und den rot getränkten Pinsel vorsichtig auf das Ablagetellerchen gelegt. Fröstelnd zog sie ihren Schal enger um ihren Körper.
»Was heißt das, der König kommt?«, fragte der junge Sioux wissbegierig, ein noch recht unerfahrener Blumenmaler, der als Erster auf Le Guay zugestürzt war.
»Also, ich war bei Boileau im Büro, wegen irgendeiner Kleinigkeit. Hellot war auch da. Sie warteten auf Bachelier. Als ich anklopfte, dachten sie wohl, da käme der Herr Obermaler endlich. Jedenfalls machten sie eine ziemlich verdutzte Miene, als sie mich sahen. Da hatte
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