Die Porzellanmalerin
wusste.
Nur noch wenige Leute standen vor ihr in der Schlange, als sie einen dunklen Blick auf sich ruhen fühlte. Nervös schaute sie sich um. Die Menge hatte sich gelichtet, fast alle Gäste waren bereits an ihr vorbei in den Festsaal geschritten. Einige Bedienstete und ein paar verspätete Neuankömmlinge tummelten sich noch im Entreebereich. Über die Schulter eines Dieners am Eingang konnte sie in den Vorraum spähen. Das blaue Sofa war nun leer. Auch die Tabletts mit den Kanapees waren abgeräumt, lediglich ein paar verlassene Weingläser standen noch auf dem Tisch. Das ganze Zimmer schien ausgefüllt von dem Mann mit der Vogelmaske, der breitbeinig und mit vor der Brust gekreuzten Armen unter dem riesigen Kronleuchter in der Mitte stand. Sein Blick schien sie durchbohren zu wollen.
»Madame, würden Sie mir bitte Ihren Namen nennen?«
Die Feder des Kammerdieners in der farblich genau auf das blaue Sofa abgestimmten Livree schwebte nur einen Finger breit über der aufgeschlagenen Seite des Gästebuchs. Fast hinter jedem Namen in der langen Liste der Eingeladenen war ein Häkchen verzeichnet.
Friederike konnte die auf dem Kopf stehenden Buchstaben ihres eigenen Namens entziffern: Friedrich Christian Rütgers, Porzellanmaler, Meißen/Vincennes . Nur leider war es ihr falscher Name,
ihr Männername. Und heute Abend war sie eindeutig eine Frau. Eindeutiger konnte man sich gar nicht als Frau zu erkennen geben. Wie also sollte sie diesem Lakaien klarmachen, dass es sich bei ihr, der »Königin der Nacht«, wie Monsieur Panier so schön formuliert hatte, und dem Meißener Maler mit dem Männernamen um ein und dieselbe Person handelte? Sie fühlte, wie ihre Achseln feucht wurden, auf ihrer Stirn bildeten sich Schweißtropfen. Damit, dass sie ihren Namen nennen musste, um Einlass in den Ballsaal zu bekommen, hatte sie nicht gerechnet.
»Nun?«
Der Tonfall des Bediensteten war noch immer höflich, wenn auch eine Spur ungeduldiger. Sie konnte hören, wie im Festsaal die Streichinstrumente gestimmt wurden. Gleich würde der Eröffnungstanz intoniert werden. Hinter ihr begannen die letzten Wartenden unruhig mit den Füßen zu scharren. Erste Stimmen des Unmuts wurden laut.
Ihre Gedanken überschlugen sich. Warum hatte sie sich bloß von Henri Panier zu diesem Kostüm überreden lassen? Sie hatte doch geahnt, dass es Probleme geben würde, wenn sie als Frau verkleidet ging. Nur weil ihr selbst nichts Besseres eingefallen war, hatte sie sich in diese Sache hineinverwickeln lassen. Was sollte sie nur tun? Sie brauchte eine schnelle Lösung, sonst würde sofort und auf der Stelle alles auffliegen.
»Madame, Sie verstehen … Wir haben nicht ewig Zeit. Gleich werden die Marquise und der König den Ball eröffnen … Sagen Sie mir jetzt bitte Ihren Namen …«
Noch bevor sie eine Antwort stammeln konnte, spürte sie, wie eine harte Hand ihren Oberarm umfasste. Erschrocken sah sie auf. Der Vogelmann!
Mit einem eisigen Blick brachte er den Lakaien zum Schweigen und zog sie, ohne ein Wort zu sagen, in den großen Ballsaal, in dessen Mitte ein als Jägerin und Nadelbaum verkleidetes Paar sich anschickte, den Tanz zu eröffnen. Die übrigen Gäste hatten, teils auf zierlichen Stühlchen sitzend, teils an den großen
Fenstern lehnend, einen großen Kreis um die beiden gebildet. Die Marquise trug ein jagdgrünes, schmal geschnittenes Kleid, das an beiden Seiten hoch geschlitzt war. Sie hatte einen Köcher mit drei Pfeilen umgehängt, deren Abschluss jeweils ein rotes Herz bildete. Der König trug enge Beinkleider in demselben Grün wie das Kleid seiner Mätresse. Sein Oberkörper steckte in einem turmartigen Aufbau, der mit seinen wie Fischschuppen übereinanderliegenden Filzblättern offenbar eine Eibenkrone symbolisieren sollte. In einer Ecke saß auf einem halbhohen Podest das Orchester, ein Dutzend Streicher und einige Blechbläser. Friederike und ihr Retter - oder Entführer, dachte sie mit leichtem Schauern - standen in der Nähe der Terrassentür, von wo aus sie einen guten Überblick über den gesamten Saal hatten. Der milde Schein Hunderter von Kerzen tauchte die ganze Gesellschaft, die Jagd- und Liebesszenen darstellenden großformatigen Gemälde und die Wandmalerei der Sopraporten in ein gelbliches Licht. Fast alle Gäste hatten sich an das Gebot des Abends gehalten und waren kostümiert gekommen.
»Der König und die Marquise - sie zitieren sich selbst!«, hörte Friederike die als Katze verkleidete Dame zu ihrer
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