Die Porzellanmalerin
genug geglaubt hatte, dass er ihre ganz große Liebe sei. Den sie, kaum gefunden, schon wieder verloren hatte. Für immer, wie sie gefürchtet hatte. So viel war geschehen seit ihrer Flucht aus Meißen, seit jenen ersten Tagen ihrer Reise, seit Rochlitz, Altenburg, Köstritz … Köstritz: Niemals in ihrem Leben würde sie die Nacht im »Güldenen Kranich« vergessen, ihre wundervolle Liebesnacht mit Giovanni, ihre erste Nacht mit einem Mann überhaupt. Aber dann? Dann hatte er sie fortgeschickt, mit dem Versprechen, sie überall auf der Welt zu suchen, ein Versprechen, das er jedoch nicht gehalten hatte. Und jetzt war er hier, neben ihr, so dicht, dass ihre Nasenspitzen sich fast berührten.
Ihre Augen glitten über sein Gesicht, nahmen jedes winzige Detail in sich auf: die hohe Stirn, die dunklen Augen unter den kühnen Brauen, die starken Wangenknochen, die schmale, gebogene Nase, den weichen Mund mit der üppigen Unterlippe … Er schien ihr verändert, älter geworden, gezeichnet, als hätte er Dinge erlebt, die ihm nicht wohl bekommen waren, Entbehrungen und Leid.
»Federica …«
Giovannis Finger fuhren über ihre Lippen, glitten ihr Kinn, ihren Hals hinab bis zu der Mulde zwischen ihren Schlüsselbeinen. Sie bemerkte, dass ihr Ausschnitt noch immer verrutscht war, ihre Brust lag fast frei, weiß glänzte sie im Mondlicht.
Auch Giovannis Blick war von ihrem Gesicht nach unten gewandert. Seine Züge hatten sich verändert, waren härter geworden, leidenschaftlicher. Seine Hand unter ihrem Nacken hatte sich in ihrem Haar vergraben. Ein leichtes Beben umspielte seine Mundwinkel.
»Du fragst dich sicher, warum ich mein Versprechen nicht gehalten, warum ich nicht nach dir gesucht habe - vero , Federica?«
Er räusperte sich und fuhr fort, ohne ihre Antwort abzuwarten:
»Erinnerst du dich an den Gefängnisturm, den Donjon, in dem du deine ersten Nächte in Vincennes verbrachtest, nachdem die Pompadour dir Zutritt zur Manufaktur des Königs verschafft hatte? Diderot und manch anderer illustrer Zeitgenosse haben dort eingesessen, wie du vielleicht weißt - und so auch ich.«
Ihr Traum … Giovanni in Ketten … Das wurde ja immer unglaublicher! Friederike hielt den Atem an. Sie wollte etwas sagen, doch der Italiener kam ihr zuvor.
»Ja, ich war inhaftiert im Donjon, und zwar schon lange Zeit, bevor du dort zu logieren beliebtest.«
Er lachte heiser, als er ihre fragende Miene bemerkte.
»Du möchtest wissen, woher ich meine ganzen Kenntnisse habe? Nun, das Leben im Donjon ist nicht ganz so erbärmlich, wie die meisten ehemaligen Gefangenen es gern beschreiben. Es ist bei weitem kein ›Ort des Horrors‹ und auch kein ›Grab‹, in dem man bei lebendigem Leibe begraben würde, man hat genug Hofgang dort und bekommt relativ viel und gut zu essen. Aber dennoch ist es natürlich kein Vergnügen, in diesem Turm einzusitzen, das kannst du mir glauben. Man ist vollkommen abgeschnitten von der Welt, und die Einsamkeit, die du dort erleidest, ist schwärzer als jede dunkle Höhle, in die du dich verirren könntest.«
Sein Blick hatte sich in die Ferne verloren. Er schwieg einen Moment, bevor er fortfuhr:
»Aber einer der Wächter wurde mein Freund. Ein kluger Mann, und vor allem jemand mit Herz und einem Blick für die Dinge, die außerhalb seiner kleinen Welt liegen. So kam es, dass er mir von dir erzählt hat, von dem jungen Porzellanmaler aus Meißen, der in der Manufaktur des Königs zu arbeiten begonnen und im Donjon sein Lager aufgeschlagen hatte.«
Was erzählte Giovanni ihr da? Hatte er die ganze Zeit im Gefängnis gesessen, während sie auf eine Nachricht von ihm gewartet hatte? War das der Grund für sein Schweigen gewesen? Auf den Ellbogen gestützt, hatte Friederike sich aufgerichtet.
Mechanisch zupfte sie ihren Ausschnitt zurecht und schob sich notdürftig ein paar Haarsträhnen in ihre Frisur zurück. Ihre Maske und ihr Schleier lagen neben ihr, vergewisserte sie sich. Sie mochte nicht glauben, dass es einen solchen Zufall geben konnte, dass Giovanni und sie offenbar tagelang im selben Gebäude übernachtet hatten, nur durch ein paar dicke Mauern voneinander getrennt. Das konnte doch alles nicht wahr sein! Was für ein grausames Spiel trieb das Schicksal da mit ihnen …
»Hat dein Wächterfreund dir auch erzählt, dass ich heute hier sein würde?«, brachte sie schließlich stockend hervor.
»Ja, dank Benoît habe ich von dem Ball hier erfahren«, nickte Giovanni. »Er ist mit einem deiner
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