Die Porzellanmalerin
hinteren Teil des Ballsaals etwa zehn als Eiben verkleidete Männer in schleichendem Chassé an sie und die anderen drei Paare heranpirschten. Rasch hatten die Maskierten einen Kreis um sie gebildet. Die Musik war inzwischen so schnell, dass Friederike unter ihrem dichten Schleier kaum mehr Luft bekam. Ihr Herz raste, ihre Lungen schmerzten. Ihre Füße führten nur noch mechanisch die Tanzschritte aus, von denen
sie glaubte, dass sie am ehesten der Situation angemessen waren. Ein Kreischen gellte über die Melodie hinweg durch den Raum, dicht gefolgt von einem hysterischen Lachen. Dieses Lachen, woher kannte sie es bloß?
Aus den Augenwinkeln sah sie, dass sich eine der Eiben die Paviandame gegriffen und begonnen hatte, sich in wildem Galopp mit ihr im Kreis zu drehen. Ihr Seidenmantel schwebte fast waagerecht um sie herum, sodass ihre Hinterbacken frei lagen und im Takt der Musik lustig wackelten. Plötzlich fühlte sich auch Friederike von hinten umfasst. Dem Vogelmann blieb nichts anderes übrig, als sie freizugeben: Eine der Eiben hatte die Hände fest um ihre Taille gelegt und schien partout nicht lockerlassen zu wollen.
Sie flog mehr, als dass ihre Füße noch den Boden berührten. »Ich kann nicht mehr!«, wollte sie schreien, doch kein Wort drang über ihre Lippen. Ihr war schwindelig, ihr Schleier hatte sich an der einen Seite gelöst, ihr Dekolleté war gefährlich verrutscht. Doch die Eibe kannte kein Erbarmen. Der Mann hatte sie zu sich herumgedreht und beide Arme eng um ihren Körper geschlungen. Ihr langes Kleid verhedderte sich in seinen Beinen, die sich zwischen die ihren gedrängt hatten. Laut und aufdringlich schrammte die Musik gegen ihre Ohren, dann hörte sie wieder das hysterische Lachen, das ihr so seltsam bekannt vorkam, Stimmen, ein heiserer Schrei - »Federica!«
Das Nächste, was sie mitbekam, war, dass sie sich draußen auf der Terrasse an der kühlenden Abendluft befand. Die steinerne Bank, auf der man sie abgelegt hatte, stand im Schutz eines üppig blühenden Magnolienbaums. Der Vollmond leuchtete fahl gegen die weißen Blüten. Aus der Ferne konnte sie Musik und Stimmen hören, von irgendwoher schien gebrochen ein sattgelbes Licht, wahrscheinlich aus den Fenstern des Ballsaals. Ein Gesicht hatte sich über das ihre gebeugt, eine Hand umfasste ihre Linke, die andere lag stützend unter ihrem Nacken.
»Federica, tesoro mio … Was machst du bloß für Sachen?«
Der Vogelmann hatte seine Maske zurückgeschoben. Wie ein hoher Hut saß sie nun über seinem Gesicht, einige blau-grüne Fransen hingen ihm in die Stirn. Die dunklen Augen glänzten. Besorgnis war auf seinen Zügen zu erkennen, aber auch Wiedersehensfreude. Und unendliche Zärtlichkeit.
»Giovanni …«, keuchte sie atemlos.
Nein, das konnte nicht sein! Giovanni hier? An diesem Ort? Nach so langer Zeit? Schon wieder hatte sie das Gefühl, jeden Moment das Bewusstsein zu verlieren. Sie schloss die Augen. Das konnte doch nicht wahr sein: Der Vogelmann war Giovanni? Ihr Giovanni? Der sie erst vor den Lakaien der Pompadour gerettet und ihr Zutritt zum Ballsaal verschafft hatte, um sie anschließend, als sie offenbar ohnmächtig geworden war, erneut in Sicherheit zu bringen?
Als sie nach einer Weile, die ihr wie eine halbe Ewigkeit erschien, die Augen erneut zu öffnen wagte, schwebte das Gesicht des Italieners nur noch wenige Fingerbreit über dem ihren. Seine Lippen hatten sich zu einem Lächeln verzogen, das ebenso sanft wie spöttisch war.
»Federica, mein Herz, endlich habe ich dich wiedergefunden!«
Er hatte ihre Hand losgelassen und fuhr ihr nun zart über Gesicht und Haar. Immer wieder murmelte er ihren Namen, als könnte auch er nicht glauben, dass er sie vor sich hatte, leibhaftig, aus Fleisch und Blut.
»Alle diese Monate ohne dich - kannst du dir vorstellen, was für Qualen ich ausgestanden habe? Diese Angst, dich nie wiederzusehen, dich zu verfehlen, wieder und wieder … Und dann hast du plötzlich vor mir gestanden, schöner denn je und in den Kleidern einer Frau … Erst war ich mir nicht sicher, ob du es wirklich bist, aber dann, als du in dieser Schlange standest und nicht mehr weiterwusstest - deine Haltung, dein fragender Blick, sie haben dich verraten …«
Sie wusste nicht, was sie denken, geschweige denn, was sie
erwidern sollte. Ihr war übel, ihr Kopf drehte sich, am liebsten hätte sie sich irgendwo verkrochen, um sich nie mehr zu zeigen. Da lag sie nun in den Armen des Mannes, von dem sie lange
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