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Die Porzellanmalerin

Titel: Die Porzellanmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Marten
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notfalls auch aufgeben würde für ihn, ja, nur für ihn, Giovanni Ludovico Bianconi, von dem sie nichts weiter wusste, als dass er italienischer Herkunft war, ein Hallodri, wie es hieß, ein Lebemann, vielleicht sogar ein Spion, ja, bestimmt sogar, warum hatte er sonst im Gefängnis gesessen, ein Frauenheld sowieso. Mein Vogelmann, dachte sie, du hast mich gerettet, wieso verlässt du mich jetzt schon wieder, warum folgst du mir nicht, fliehst gemeinsam mit mir, statt mich schon wieder allein ins Ungewisse zu schicken …
    Vom Schloss her waren Stimmen zu hören. Türen schlugen, Schritte knirschten auf dem Kies.
    »Signora, sie kommen! Forza , beeilen Sie sich, es ist höchste Zeit! Si sbrighi, si sbrighi , machen Sie schnell, La prego! «
    Der alte Ernesto war mit dem Schimmel um die Kutsche herumgekommen; mit zwei, drei geschickten Handgriffen half er ihr, den Sattel zu besteigen, hinter dem er ihren kleinen Koffer mit zwei Lederriemen befestigt hatte, drückte ihr den Schlapphut in die Hand, gab dem Pferd einen kräftigen Klaps aufs Hinterteil, und schon galoppierte es fort, über den gepflegten Rasen entlang der Rabatten und Obstbaumspaliere, in Richtung Wald.
    Das Letzte, was sie von Giovanni sah, als sie sich auf dem Rücken des Schimmels noch einmal umdrehte, beide Hände fest um den Sattelknauf gekrallt, die Beine gegen die Flanken des Tieres gepresst, war sein mondbeschienenes bleiches Gesicht
mit dem aufgerissenen Mund. Er ruft mich, doch ich kann ihn nicht hören, dachte sie, ein stummer Schrei …
    Dann schien ein Ruck durch ihn zu gehen, die Vogelmaske glitt wie das Visier eines Ritterhelms vor sein Gesicht, seine Brust straffte sich, sein ganzer Körper wirkte mit einem Mal seltsam steif und aufrecht, wie bei einem Soldaten, der Haltung angenommen hatte.
    Fast gleichzeitig wandten sie sich ab: sie, um dem Schimmel, der in wenigen Sekunden den Waldrand erreicht haben würde, die Sporen zu geben - er, um den Häschern des Königs entgegenzutreten, die durch den hell erleuchteten Ehrenhof auf ihn zueilten.

    Die Sonne war bereits aufgegangen, als sie Paris endlich erreichte. Bis auf eine Viertelstunde Rast an einem Bach hatte sie sich und dem Schimmel keine Pause gegönnt, zu sehr hatte die Angst sie vorangetrieben. Schon nach wenigen Meilen war sie zwar sicher gewesen, dass sie ihre Verfolger entweder abgeschüttelt oder dass der König gar keine Wachmänner nach ihr ausgeschickt hatte, dennoch hatte sie so schnell wie möglich Abstand zwischen sich und alles bringen wollen, was mit dem verhängnisvollen Abend im Schloss Bellevue zusammenhing.
    Außer Giovanni … Dass sie ihn wieder getroffen hatte! Ausgerechnet auf dem Ball des Königs! Immer wieder waren ihr in der langen dunklen Nacht während ihres halsbrecherischen Ritts Zweifel gekommen, ob sie nur geträumt hatte und ihre Begegnung mit dem Italiener vielleicht gar nicht echt gewesen war. In der Erinnerung war sie jede einzelne Szene noch einmal durchgegangen, hatte sie sich den geheimnisvollen Vogelmann vergegenwärtigt, hinter dessen Maske plötzlich Giovanni aufgetaucht war, ein vom Leben gezeichneter Giovanni mit einem düsteren Geheimnis und seltsamen Stimmungswechseln, aber auch der zärtliche, leidenschaftliche Giovanni, den sie geliebt
hatte und den sie noch immer liebte, wie sie nun ein für allemal wusste. Und Giovanni, der Soldat, der sich den Häschern des Königs entgegengestellt hatte, um sie zu retten. Ja, so musste es gewesen sein, war es ihr mit einem Mal wie Schuppen von den Augen gefallen: Giovanni hatte sich den Wachen ausgeliefert, damit sie von ihr abließen.
    Die Sorge um ihn hatte schließlich fast jeden anderen Gedanken in ihr verdrängt. Nur flüchtig war ihr irgendwann gedämmert, dass sie nun wohl niemals mehr einen Fuß in die Manufaktur von Vincennes würde setzen können, dass sie Benckgraff folglich würde enttäuschen müssen, weil sie dem Geheimnis der leuchtenden Farben nicht auf die Spur gekommen war. Vielleicht würde François Gravant es ihr ja in vielen Jahren einmal verraten, wenn sie beide alt und weise geworden waren und es entweder in jedem Kuhdorf eine Porzellanmanufaktur gab oder nirgendwo mehr eine einzige. So hatte sie sich am Ende getröstet und sich vorgenommen, wenn sie wieder in Höchst wäre, dem Freund zu schreiben und ihm alles zu erklären. Um ihn und Henriette tat es ihr leid, wohingegen ihr mittlerweile fast gleichgültig war, dass der König und die Pompadour sich von ihr getäuscht und

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