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Die Porzellanmalerin

Titel: Die Porzellanmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Marten
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auf keinen Fall.

    Das leise Schnarchen hinter ihrem Rücken sagte ihr, dass Carl tatsächlich wieder eingeschlafen war. Es war ein langer, anstrengender Tag gewesen, auch für ihn. Die Tage vor der Hochzeit hatte er noch dazu unter großer Anspannung gestanden, weil nicht abzusehen gewesen war, wie seine Familie auf die bevorstehende Hochzeit mit ihr reagieren würde. In den Augen seiner Mutter und seines Bruders hatte sie doch nur als Eindringling gelten können, eine ketzerische Fremde, die ihrem Carl ein Kind angedreht und noch dazu die vielversprechenden Bande zu einer der vornehmsten Frankfurter Familien, den Leclercs, zerstört hatte. Seine Erleichterung, nachdem sich sowohl die Mutter als auch Emanuel ihr gegenüber bei der ersten offiziellen Begegnung vor der Katharinenkirche freundlich und wohlwollend gezeigt hatten, war fast schon rührend gewesen. Außerdem hatte er tagelang geschuftet wie ein Berserker, bis die Renovierungsarbeiten in ihrem künftigen Heim endlich abgeschlossen waren. Den ganzen linken oberen Flügel des Hauses hatte er persönlich neu in Stand gesetzt, zusammen mit dem treuen alten Gustav. Nur bei den Maurer- und Schreinerarbeiten hatte er Hilfe von Handwerkern in Anspruch genommen.
    Das Ergebnis konnte sich sehen lassen. Friederike war in regelrechte Begeisterungsstürme ausgebrochen, als Carl sie nach dem Hochzeitsessen im Gasthof »Zum Roten Haus« auf der Zeil endlich zu Fuß nach Hause gebracht und in der ersten Etage über die Schwelle getragen hatte.
    »Carl, das ist ja fantastisch!«, hatte sie beim Anblick der vier großzügigen Räume mit den hellblauen, zartgrünen oder altrosafarbenen Blumentapeten ausgerufen, die sich frisch und freundlich von den glänzenden dunklen Bohlen des Fußbodens abhoben. Jedes Zimmer war mit einem Kachelofen ausgestattet - Delfter Fayencen, hatte sie auf den ersten Blick erkannt - und mit zierlichen Holzmöbeln, deren Paradestück das rote Baldachinbett im Schlafzimmer darstellte, Carls ganzer Stolz, wie er grinsend zugegeben hatte, denn er hatte den schimmernden
Stoff selbst ausgesucht und sogar, unter Anleitung des Schreiners, eigenhändig angebracht. Ihr Lieblingsplatz aber, das hatte sie sofort gewusst, würde der alte Ledersessel in der kleinen Bibliothek werden, der dicht neben dem Fenster stand und von dem aus man einen wunderbaren Blick auf das mit üppigen Hortensiensträuchern bestückte Gärtchen zwischen den efeubewachsenen Ziegelmauern hatte. Hier würde sie Stunden und Tage verbringen, das hatte von Anfang an festgestanden.
    Friederike schaute zum Fenster. Draußen war es noch dunkel. Lediglich ein schwacher Lichtschein drang von der Laterne am Kornmarkt zu ihrem Haus herüber und ließ sie die Umrisse im Zimmer erkennen. Der dünne weiße Vorhangstoff bauschte sich am offenen Fenster. Wie viel Uhr es sein mochte? Sie hatte Benckgraff versprochen, dass sie an diesem Montagmorgen so früh wie möglich in Höchst sein würde. Es gab eine Menge zu tun; in knapp zwei Monaten war Weihnachten, die Kollegen in der Manufaktur kamen gar nicht mehr nach mit dem Abarbeiten ihrer Bestellungen. Vielleicht sollte sie einfach jetzt schon aufstehen? An Schlaf war sowieso nicht mehr zu denken. Dabei hätte sie ihn durchaus nötig gehabt, so schlapp und müde, wie sie sich seit ein paar Wochen fühlte. Dass Carl auch einfach so über sie hergefallen war! Eigentlich ziemlich rücksichtslos von ihm, er wusste doch, dass sie an diesem Montag so früh aufstehen und nach Höchst fahren musste. Mitten aus dem Tiefschlaf hatte er sie gerissen, sie hatte nicht einmal geträumt, wie so oft in letzter Zeit, wenn sie nur unruhig schlafen konnte. Entweder war ihr in diesen halb durchwachten Nächten das Kind oder Giovanni erschienen, in den unterschiedlichsten Lebenslagen und oft in Kombination mit irgendwelchen Porzellanfiguren, die das Traumgeschehen mit ihren unbewegten Gesichtern und eingefrorenen Gesten auf seltsame Weise zu kommentieren schienen. Was das wohl zu bedeuten hatte? Auf jeden Fall war es ein Zeichen dafür, dass ihre Arbeit sie nicht nur tagsüber beschäftigte, sondern sie bis in die Nacht hinein verfolgte.

    Vielleicht sollte sie Benckgraff demnächst einmal davon berichten, überlegte Friederike, dann würde er ihr womöglich auch mehr Lohn bezahlen. So dankbar sie ihm war, dass er sie weiterhin für die Manufaktur tätig sein ließ - obwohl sie eine Frau und noch dazu schwanger war -, so unverschämt hatte sie seine Argumentation in Sachen

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