Die Porzellanmalerin
Schmerz von oben nach unten durch ihren Leib. Sie schrie jetzt, so laut sie konnte.
»Friedrich! Um Himmels willen!«
»Simon, ach, Simon, wie gut, dass du gekommen bist!«
Friederike schluchzte und lachte zugleich. Grenzenlose Erleichterung überkam sie. Jetzt war Simon da, ihr Freund, jetzt konnte nichts mehrschief gehen!
Simon Feilner hatte sie unter den Achseln gepackt und in die Mitte des Raumes gezogen. Blitzartig hatte er sein Hemd abgestreift und ihr unter den Kopf gelegt. Mit zwei Handgriffen schob er ihre feuchten Röcke zurück, sodass sie halb nackt vor ihm lag.
»Beine breit, Friedrich, mach schon, jetzt ist keine Zeit mehr für langes Herumgefackel!« Er grinste kurz, dann brüllte er über seine Schulter in den Flur hinaus:
»Benckgraff, Zeschinger - holt Hilfe, schnell! Hier wird gerade ein Kind geboren.«
Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Johannes Zeschinger den Kopf durch die Tür steckte und sofort wieder verschwand, als er mit einem Blick die Situation erfasst hatte.
Auch Simon hatte ihn bemerkt.
»Wir brauchen eine Hebamme! Schnell! Und sag Josefine Bescheid!«, rief er dem Maler hinterher.
»Geht’s, Friedrich?«, fragte er nun wieder an sie gewandt. »Als ich diesen Schurken, diesen grässlichen Ebersberg, mit hochrotem Gesicht zur Tür rausrennen sah, dachte ich mir gleich, dass das was mit dir zu tun hatte. Aber erst als ich deinen Schrei hörte, wurde mir klar, wie ernst die Lage sein musste.« Er tätschelte ihren nackten Oberschenkel. »Mach dir keine Sorgen, meine Liebe, wir schaffen das auch so! Vergiss nicht, ich habe schon drei Kinder auf die Welt geholt, zweimal sogar ganz alleine: Bei der Geburt von meinem Ältesten war die Hebamme so besoffen, dass ich sie gar nicht erst an meine Frau rangelassen habe. Und beim zweiten Mal hat es dermaßen geschneit, dass sie erst eingetrudelt ist, als alles längst vorbei war. Atmen, Friedrich, tief durchatmen, das ist jetzt das Wichtigste!«
Er warf einen prüfenden Blick zwischen ihre Beine.
»Ich werd verrückt, der Kopf ist schon zu sehen! Pressen, Friedrich, pressen!«
Friederike hätte nicht gedacht, dass ihre Schmerzen sich noch steigern könnten. Weiße Blitze zuckten vor ihren Augen auf, sie atmete, hechelte, keuchte, presste, krallte ihre Fingernägel in Simons Hand, bemerkte kaum, dass mittlerweile mehrere Leute um sie herumstanden oder neben ihr hockten, bis eine freundliche fremde Frauenstimme irgendwann zu ihr sagte:
»Gleich haben Sie es geschafft, Frau Bogenhausen, gleich ist das Kind da.«
Ein letztes Mal nahm sie ihre ganzen Kräfte zusammen. Dann wurde alles um sie herum schwarz.
Was war geschehen? Was hatte das Rot über ihrem Kopf zu bedeuten? Wo war sie? Und - was war mit dem Kind?
Friederike brauchte eine Weile, bis sie erkannte, dass sie sich in ihrem eigenen Frankfurter Schlafzimmer befand, unter dem roten Himmel des ehelichen Baldachinbetts. Neben ihr auf einem Stuhl saß Carl, ein in weiße Tücher gewickeltes Bündel im Arm. Er schien nicht zu bemerken, dass sie aufgewacht war, so versunken war er in die Betrachtung des kleinen Gesichtchens, das aus dem Windelpaket hervorsah. Sein Zeigefinger war von einer winzigen Faust umschlossen, mit der freien Hand fuhr er immer wieder zärtlich über die runzelige rote Stirn des Neugeborenen. Ein leises, regelmäßiges Atemgeräusch sagte ihr, dass das Kind schlafen musste. Ihr Kind, erinnerte sie sich. Ihr und Carls Kind.
Sie hatte noch immer kein Wort gesagt, die Kehle war ihr wie zugeschnürt. Eine bleierne Müdigkeit lag über ihr, ihre Glieder fühlten sich an, als wären sie von schweren Eisenketten ans Bett
gefesselt. Erst als sie irgendwann den Kopf drehte, um einen Blick aus dem Fenster zu werfen, registrierte Carl, dass sie nicht mehr schlief.
»Du hast recht gehabt, meine Liebe, es ist ein Junge!«, lächelte er stolz. »Ich habe ihn Ludwig genannt, nach meinem Großvater …«
Sein Gesicht drückte tiefe Zufriedenheit aus. Und Liebe, dachte sie. So hatte er sie noch nie angesehen, nicht einmal in Momenten höchster Intimität. Er schien ihr wie von einem inneren Strahlen erleuchtet, geerdet, ohne eine Spur von seiner üblichen Gespanntheit.
»Carl …«, begann sie zögernd.
»Du hast doch nichts dagegen, oder?«, unterbrach er sie eifrig. »Du kannst ihm ja den zweiten Namen geben … Ach, Friederike, ich freue mich ja so!«
Er beugte sich über das Kind nach vorne, um ihr einen Kuss zu geben, den sie mechanisch erwiderte.
»Auch wenn ich
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