Die Porzellanmalerin
sich mehr und mehr in sich zurückgezogen hatte.
S eltsamerweise war die rettende Hilfe, die Friederikes wachsender Unzufriedenheit ein Ende bereitete, aus einer Richtung gekommen, aus der sie sie niemals vermutet hätte.
Eines Spätnachmittags, Carl befand sich wieder einmal auf Reisen, klopfte es an die Tür ihrer kleinen Bibliothek, und Emanuel Bogenhausen stand auf der Schwelle, einen Stapel roh gebrannter Porzellanteller unter dem Arm.
»Du hier?«
Sie rieb sich die Augen. In dem Dämmerlicht war die Silhouette des Schwagers kaum zu erkennen. Außerdem war sie noch ganz benommen - sie hatte keine Ahnung, wie lange sie schon in ihrem Lieblingssessel am Fenster gesessen und sich ihren Tagträumereien hingegeben hatte. Wie so oft in den vergangenen Monaten hatte sie vor allem an Giovanni gedacht. Obwohl die letzte Begegnung mit ihm schon so lange zurücklag, konnte sie noch immer jedes kleinste Detail seiner Erscheinung in ihrer Erinnerung abrufen. Sogar seine Stimme vermeinte sie noch im Ohr zu haben, sein zärtliches Lachen, in dem fast immer ein wenig Spott mitgeklungen war. Ob sie es jemals wieder hören würde? Manchmal war ihre Sehnsucht nach dem Italiener so groß, dass sie sie kaum mehr zu ertragen glaubte. Anfangs hatte sie noch gehofft, dass die Ehe mit Carl sie über den Verlust Giovannis hinwegtrösten würde, aber allmählich musste sie sich eingestehen, dass dem nicht so war. Auch wenn sie mit Carl eine herzliche Sympathie verband: Sie liebte ihn einfach nicht. Er war ihr zu fremd, nie hatte sie das Gefühl, wirklich bis zu seiner Seele vorzudringen. Falls er überhaupt eine besaß, hatte sie manches Mal sogar schon bitter konstatiert, wenn sie mit Erschütterung
hatte wahrnehmen müssen, wie kühl und gleichgültig er anderen Menschen gegenüber sein konnte. Maria Seraphia, dachte sie dann, genauso hat er sich in dem von Löwenfinck’schen Wohnzimmer in Straßburg verhalten. Abgesehen davon war Carl fast immer abwesend, er konnte ihr gar nicht Giovanni ersetzen, weil er nie zu Hause war.
Allein Ludwig vermochte sie von ihrer Traurigkeit abzulenken. Sosehr der Junge sie auch anstrengte, er war und blieb ihr großes Glück. Sie brauchte ihn nur anzuschauen, sein verschmitztes rundes Gesichtchen, den kleinen, wendigen Körper, dann wusste sie, dass es richtig war, jedes Opfer, das gefordert war, für ihn zu erbringen.
»Was verschafft mir die Ehre, lieber Emanuel?«
Friederike hatte versucht, ihrer Stimme einen munteren Beiklang zu verleihen, obwohl sie sich weder so fühlte noch sonderlich erpicht auf ein Gespräch mit dem Schwager war. Sie wusste nie genau, wie sie sich ihm gegenüber verhalten sollte, zu gut entsann sie sich noch der seltsamen Situation, als er sie an jenem alles entscheidenden Tag im Gewürzspeicher mit entblößtem Oberkörper gesehen hatte und mit diesem verstörten Ausdruck im Gesicht wieder verschwunden war.
»Hier!« Mit zwei energischen Schritten war er zu ihr vorgetreten. »Die habe ich aus Höchst mitgebracht. Wie du siehst, müssen sie noch bemalt werden.«
Vorsichtig stellte er den Stapel Teller auf dem runden Tischchen neben ihrem Sessel ab. Als er ihren verwunderten Blick bemerkte, fügte er hinzu:
»Nicht dass du denkst, Benckgraff würde dahinterstecken - nein, nein, in diesem Fall bin ich dein Auftraggeber! Wie du weißt, findet hier demnächst ein Firmenbankett statt, und dafür brauchen wir vernünftiges Geschirr.«
»Aber, aber …«, stotterte Friederike, »wieso überlässt Benckgraff dir Rohlinge? So etwas hat er noch nie getan! Das verstößt gegen seine Ehre. Ich verstehe nicht, wieso …«
»Liebe Schwägerin, erstens weiß Benckgraff ganz genau, wer diese Teller sozusagen in seinem oder vielmehr: dem Namen der Höchster Porzellanmanufaktur bemalen wird. Und zweitens habe ich ihn bestochen, wenn du so willst, indem ich ihm einen Großauftrag zugeschanzt habe, für den er mir die nächsten zehn Jahre noch dankbar sein muss.«
Ein zufriedenes Lächeln glitt über sein Gesicht.
»Aha«, nickte Friederike.
Sie war noch immer völlig verdutzt. Erst als die ganze Tragweite des Unternehmens ihr Bewusstsein erreicht hatte, wagte auch sie ein Lächeln. Um schließlich über beide Backen zu strahlen und ihrem sichtlich verwirrten Schwager um den Hals zu fallen.
»Danke, Emanuel, das vergesse ich dir nie!«, rief sie begeistert.
Nachdem sie ihm mehrere Vorschläge für das Dekor unterbreitet hatte - man einigte sich schließlich auf ein Muster aus
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