Die Porzellanmalerin
Tag schwächer und ausgelaugter gefühlt. Das Stillen strengte sie mehr an, als sie sich jemals vorgestellt hätte - und als sie den anderen gegenüber zugeben mochte. Zudem hatte sie das irritierende Gefühl
befallen, nicht mehr sich selbst zu gehören, sondern ausschließlich den Willensäußerungen eines kleinen, gefräßigen Wesens gehorchen zu müssen, das ihre armen Brustwarzen malträtierte und ihre Nächte mit seinem fordernden Hungergeschrei auf ein Minimum an Schlaf verkürzte. Um nichts in der Welt hätte sie ihren Sohn wieder abgeben wollen, sie liebte ihn mit jeder Faser ihres Körpers und ertappte sich immer wieder dabei, dass sie mit Gott, dessen Existenz sie bis dahin eher in Frage gestellt hatte, am liebsten einen Pakt abgeschlossen hätte, damit Ludwig nur ja kein Unheil geschah - aber sie konnte einfach nicht mehr. Nie in ihrem Leben war sie so erschöpft gewesen, so jeglicher Energien beraubt.
»Ich denke auch, Friederike, es ist an der Zeit, dass du dich wieder mehr nach außen zeigst. Du kannst nicht immer nur Mutter sein und dich von deinem Kind terrorisieren lassen!«
Luise Bogenhausens Ton war deutlich forscher als der ihrer Schwiegermutter, aber auch auf ihrem hageren Gesicht hatte sich so etwas wie Mitgefühl abgezeichnet.
»Ich habe von einer jungen Kupferstecherwitwe aus der Nachbarschaft gehört, die ihren knapp zweijährigen Sohn noch immer stillt, weil sie so viel Milch hat, dass es pure Verschwendung wäre, die Quelle frühzeitig versiegen zu lassen. Sicher hat sie in ihren gewaltigen Brüsten auch noch ein wenig Milch für Ludwig übrig«, lächelte sie leicht verschämt. »Sie wohnt gleich um die Ecke, in der Buchgasse - wenn du willst, erkundige ich mich für dich!«
So war Maria Hesse in ihren Haushalt gekommen, eine patente, herzliche Frau etwa in Friederikes Alter, die sie bei ihrer ersten Begegnung sofort an Josefine erinnert hatte, wenngleich in einer brünetten und etwas burschikoseren Ausführung. Sie hatte auch von Anfang an klipp und klar gesagt, dass sie nicht in die Villa Bogenhausen ziehen, sondern ihre Unabhängigkeit bewahren und nur stundenweise zur Verfügung stehen wolle, worüber Friederike insgeheim sehr erleichtert gewesen war, denn
so gern sie die Amme ihres Sohnes mochte, so sehr war auch ihr daran gelegen, keine weiteren Abhängigkeiten zu irgendjemandem aufzubauen. Der Nachteil des Arrangements mit Maria Hesse war freilich, wie sie wenige Wochen später feststellen musste, dass sie sich nun völlig nutzlos vorkam und geradezu überflüssig fühlte, zumal Ludwig ihr seine Amme mitsamt dem zweijährigen Milchbruder bald vorzuziehen schien und in Anwesenheit der Fremden seine ersten Laute gebrabbelt und sich zum ersten Mal allein auf den Bauch gedreht hatte. Und Carl war fast immer auf Reisen; sie wusste nicht, ob geschäftlich oder in Freimaurerbelangen, weil sie kaum mehr Gelegenheit hatten, in Ruhe miteinander zu sprechen, denn entweder nahm der Kleine ihre ganze Aufmerksamkeit gefangen oder irgendein Familienmitglied war anwesend.
Die einzige Abwechslung, die sich ihr jetzt bot, waren die Vorbereitungen für den großen Frühjahrsempfang, den die Bogenhausens alljährlich für ihre besten Kunden gaben und dessen Organisation und Durchführung seit einigen Jahren in den Händen ihrer Schwägerin lag.
»Du kannst mir gern helfen«, hatte Luise anfangs noch freundlich, später zunehmend ungeduldiger gesagt, wenn sie Friederike schon wieder, in ihren Pelz gewickelt mit in die Ferne gerichtetem Blick, im Geräms vor dem Haus sitzen sah, einer Art riesigem Vogelbauer, in dem viele Bürgersfrauen ihre Tage an der frischen Luft und doch geschützt verbrachten, um zu sticken oder zu nähen oder sonstige nützliche Dinge zu tun und zugleich am Leben draußen auf der Straße teilzunehmen.
Doch Friederike verrichtete keine Handarbeiten und saß auch immer allein in ihrem Käfig, die Hände im Schoß, die Gedanken überall, nur nicht bei dem bevorstehenden gesellschaftlichen Ereignis. Dabei hatte sie sich mehr als einmal bemüht, Luise bei den Planungen der Festivität zur Hand zu gehen, aber es immer wieder aufgegeben, weil die Schwägerin und auch die gelegentlich mitredende Schwiegermutter, die selbst jahrzehntelang
dieser wichtigen Aufgabe nachgegangen war, so ganz andere Vorstellungen von der Ausstattung des Banketts hatten als sie selbst, sodass es immer wieder Streit gegeben und sie um des lieben Friedens willen nicht auf ihren Ansichten beharrt, sondern
Weitere Kostenlose Bücher