Die Porzellanmalerin
einen Volltreffer gelandet. Caspars Gesicht glich jetzt einer hassverzerrten Fratze. Er war dicht an den Schreibtisch herangetreten, die Hände zu Fäusten geballt. Seine Halsschlagader war angeschwollen, Friederike konnte das Blut unter seiner Haut pochen sehen.
»Wenn du auch nur ein Wort davon weitererzählst …«
»Was dann?«, entgegnete sie leichthin. »Du willst mir doch nicht etwa drohen?«
»Dann, dann …«
Nun war sein Gesicht dunkelrot angelaufen.
»Es scheint dir die Sprache verschlagen zu haben, lieber Caspar, du bist doch sonst nicht auf den Mund gefallen … Einen ›Schönschwätzer‹ nennen sie dich hier, wusstest du das?«
Noch bevor ihr Gegenüber auch nur eine Regung getan hatte, wusste sie, dass sie diesmal zu weit gegangen war. Sie wollte zurückweichen, den Abstand zwischen sich und Caspar vergrößern, aber der Modelleur war schneller: Seine Hände flogen über den Tisch und legten sich um ihren Hals. Fest und unnachgiebig drückten seine Finger zu.
Sie versuchte, sich aus der Umklammerung zu befreien, den entsetzlichen Druck auf ihrer Kehle zu mildern, indem sie an seinen Händen riss. Doch schon spürte sie, wie ihr das Atmen schwerer fiel, wie ihre Kräfte nachließen.
»Caspar«, keuchte sie, »Caspar, bist du verrückt … Caspar, hör auf, du bringst mich um …«
Sie hatte keinerlei Gefühl dafür, wie lange sie schon miteinander gerungen hatten, als der Modelleur plötzlich von ihr abließ und mit zwei Sätzen aus dem Raum eilte.
Er hatte sie so unvermutet losgelassen, dass sie die Balance verlor und, vom Gewicht ihres Bauches nach unten gezogen, mit dem Unterarm voran schwer auf der Tischplatte aufschlug.
Wie durch ein Wunder hatte die Terrine durch ihren Sturz keinen Schaden genommen, das zarte Rosé der Blütenblätter mit den hellgrünen Ranken ergab noch immer einen anmutigen Kontrast zu dem weiß glasierten Grund. Dafür war das Wasserglas umgekippt und sein Inhalt in die Palette mit den Farben gelaufen, die sich nun langsam zu einer bräunlichen Soße vermischten.
Friederike rappelte sich hoch. Der Arm tat ihr weh, ihr Kleid war über und über mit Farbspritzern besprenkelt. Das Schlimmste aber war der Schreck, der ihr in die Glieder gefahren war. Mit einem solchen Ausbruch an Gewalt hatte sie nicht gerechnet. Sie wusste gar nicht, wie sie damit umgehen sollte. Wut und Angst vermengten sich in ihr.
Ein leises Plätschern ließ sie aufhorchen. Sie blickte auf das umgekippte Wasserglas auf dem Tisch, schaute hinunter auf die Pfütze, die sich am Boden gebildet hatte. Doch die Pfütze war viel zu groß, als dass sie sich allein aus dem Wasser hätte speisen
können. Noch dazu wollte das Plätschern gar nicht mehr aufhören. Da erst bemerkte sie die Flüssigkeit, die ihr die Beine herabrann.
Entsetzt ließ sie sich auf den Stuhl sinken und umfasste mit beiden Händen ihren Bauch. Das Kind! Dieses Wasser, das aus ihr herausfloss, als wäre ein Damm in ihr gebrochen, konnte nur eines bedeuten: Die Geburt stand bevor, gleich ging es los.
Was sollte sie jetzt tun? Aufstehen und Hilfe holen? Oder lieber sitzen bleiben und warten, bis zufällig jemand vorbeikam?
Ein Schmerz, der in einer Welle von oben nach unten ihren Unterleib durchflutete, ein Schmerz, wie sie ihn noch nie zuvor empfunden hatte, nahm ihr die Entscheidung ab.
»O Gott, nein!«, keuchte sie laut. »Hilfe! Simon, Johannes - Hilfe!«
Kaum war die erste Wehe verebbt und ließ sie wieder halbwegs normal atmen, kündigte sich auch schon die nächste an. Wieder hatte sie das Gefühl, als würde sie in Stücke gerissen.
Warum half ihr denn keiner? Wo blieben sie denn alle? Und warum hatte ihr niemand gesagt, dass es so fürchterlich weh tat, ein Kind zu bekommen? Warum kam dieses Kind überhaupt jetzt schon - es war doch noch viel zu früh?
Erneut entfuhr ihr ein lautes Stöhnen. Sie war kaum mehr in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen, in immer kürzeren Abständen folgten die Wellen des Schmerzes aufeinander, die ihren ganzen Körper durchdrangen, ihren Unterleib zusammenzogen, ihr den Atem nahmen. Nur am Rande hatte sie mitbekommen, wie sie von ihrem Stuhl zu Boden geglitten war, in die Wasserlache unter dem Schreibtisch.
Jetzt nur nicht ohnmächtig werden, dachte sie mechanisch, du musst jetzt alle deine Sinne beisammenhalten! Konzentrier dich, Friederike, andere Frauen kriegen ihre Kinder auch zu früh und ohne fremde Hilfe, noch dazu auf dem Feld oder im Stall …
Und wieder rollte der
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