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Die Porzellanmalerin

Titel: Die Porzellanmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Marten
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zugeben muss, dass ich natürlich alles andere als beglückt war, als der Kurier aus Höchst gestern Morgen hier ins Comptoir gestürzt kam, um mir die Geburt meines Sohnes zu verkünden. Das hatte ich mir, ehrlich gesagt, etwas anders vorgestellt!«
    Ein vorwurfsvoller Blick streifte sie, der aber sofort wieder milde wurde, als das Neugeborene seine fein geschwungenen Lippen zu einem herzhaften Gähnen öffnete.
    »Hast du das gesehen, Friederike? Ist er nicht wundervoll, unser Sohn? Er wird sicher Hunger haben, weißt du? Die Amme, die ich bestellt habe, ist noch nicht da. Du musst ihn also bei dir anlegen, Friederike; hier versuch’s mal!«
    Ehe sie sich’s versah, lag der Säugling schon an ihrer Brust. Carl hatte ihr weißes Batisthemd einfach zur Seite geschoben und das Köpfchen des Kindes so zurechtgerückt, dass es nur noch den Mund zu öffnen brauchte, um gierig nach ihrer Brustwarze zu schnappen. Seine Augen waren noch immer geschlossen,
das zarte Händchen mit den perfekt geformten Miniaturfingernägeln krallte sich tastend in ihr Fleisch.
    »Bitte, Carl, ich … Bitte, lass mich doch erst mal …«
    Friederike wusste nicht, wie ihr geschah. Es ging alles so schnell! Erst die überstürzte Geburt, dann fand sie sich plötzlich zu Hause in ihrem Bett wieder, und nun war da dieses kleine Wesen in ihrem Leben, das so selbstverständlich von ihr Besitz ergriff, als wäre sie ausschließlich dafür bestimmt, seinen Bedürfnissen nachzukommen. Dabei hatte sie ihm, ihrem neugeborenen Sohn, noch nicht einmal einen Namen geben, geschweige denn, ihn richtig betrachten und sich an die Vorstellung gewöhnen können, dass er nun nicht mehr in ihrem Bauch, sondern auf der Welt war.
    »Schau mal, wie er saugt!«, rief Carl begeistert. »Ludwig kann schon trinken, ist das nicht großartig?«
    Ein unangenehmes Ziehen ging von ihrer Brustwarze aus, die fest zwischen den Lippen des Neugeborenen klemmte. Sie sah auf das kleine Köpfchen an ihrem Busen hinab. Mit ihren Blicken maß sie die Linien seines Profils, die geschwungenen Wangenknochen, das winzige Ohr, die langen schwarzen Wimpern, die gewölbte Stirn, die in einen wohlgeformten Hinterkopf auslief. Als hätte er nie etwas anderes getan, hatte ihr Sohn in einem regelmäßigen Rhythmus zu saugen und zu schlucken begonnen. Vorsichtig strich sie über die leichte Delle unter dem hellbraunen Haarflaum.
    »Da bist du ja endlich!«, flüsterte sie, so leise, dass sie ihre eigenen Worte kaum verstand. Der Kloß in ihrer Kehle hatte sich gelöst. Mit dem Mund berührte sie vorsichtig die Schläfe des Kindes. Sie konnte seine Schlagader unter ihren Lippen pochen spüren, sein warmer, weicher Geruch stieg ihr in die Nase. Fest legten sich ihre Arme um den kleinen Körper.
    »Ludwig, mein kleiner Ludwig - wie froh ich bin, dass es dich gibt!« Tränen erstickten ihre Stimme.
    Auch Carls Augen schimmerten feucht. Er hatte sich neben
das Bett auf den Boden gekniet und sie und das Kind mit beiden Armen umschlungen.
    «Jetzt sind wir eine Familie«, murmelte er und suchte ihren Blick.
    »Ja«, nickte sie auf ihn herab. Jetzt waren sie eine Familie.

    »Liebe Friederike, willst du dir nicht doch eine Amme nehmen? Ich sehe, der Kleine raubt dir die letzten Kräfte!«
    In einer begütigenden Geste hatte Margarethe Bogenhausen die Arme ausgestreckt, um ihrer Schwiegertochter das quietschende Kleinkind abzunehmen. Schon zum zweiten Mal an diesem Tag hatte Ludwig mit seinem ewigen Strampeln und Händefuchteln eine volle Tasse Kaffee umgestoßen. Friederike konnte ihn während des Essens kaum mehr auf ihrem Schoß bändigen, so sehr zappelte er herum und wollte nach allem greifen, was sich in seiner Reichweite befand. Aber wenn man ihn in sein Körbchen legte, kam er auch nicht zur Ruhe, sondern fing sofort an zu brüllen. Trotz seines verfrühten Starts ins Leben hatte der Junge sich prächtig entwickelt, war zunehmend lebhafter geworden und hatte stetig an Gewicht und Größe zugelegt. Carl hatte sich als begeisterter Vater entpuppt, der sich rührend um seinen Sohn kümmerte, wenn er nur einen Moment Zeit dafür fand. Der Rest der Familie, allen voran die Großmutter, war völlig verzückt von dem neu auf den Plan getretenen Stammhalter, der sein freundliches Lächeln gleichmäßig auf alle seine Bewunderer verteilte.
    Allein die junge Mutter schien in die allgemeine Euphorie nicht aus vollem Herzen einstimmen zu können. Seit Ludwig auf der Welt war, hatte Friederike sich Tag für

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