Die Porzellanmalerin
am Horizont zu sehen war, schob Friederike das Fenster wieder nach unten. Immerhin hatte Carl ihr mit seiner Flucht eine Art Gnadenfrist gewährt, versuchte sie das Beste aus ihrer Situation zu machen. So wie sie ihn kannte, würde er sicher mindestens drei Tage wegbleiben. Vielleicht reichte die Zeit ja, dass sie die nötige Klarheit fand.
Im Dämmerlicht zog sie sich die Kämme aus dem Haar und schleuderte endlich die engen Schuhe von den Füßen. Ein letztes Mal lief sie in Ludwigs Zimmer, um nach ihm zu sehen. Tastend trat sie an das Bettchen heran und legte ihr Ohr auf den runden Bauch ihres Sohnes, um seinen regelmäßigen Atemzügen zu lauschen. Einen Moment überlegte sie, ob sie ihn nicht einfach mit in ihr leeres Ehebett nehmen sollte. Es gab kaum etwas, das sie mehr besänftigte, als seinen kleinen schlummernden Körper neben sich zu spüren, wenngleich die Qualität ihres eigenen Schlafes dadurch ziemlich beeinträchtigt wurde. Nein, sie brauchte ihre Ruhe, wenigstens ein paar Stunden wollte sie sich allein Gott Morpheus überlassen. Vielleicht erschien ihr im Traum ja die Lösung für ihr Problem.
Sie ließ Rock und Manteau vor ihrem Bett einfach zu Boden gleiten. Nur mit ihrem Hemd bekleidet schlüpfte sie unter das Plumeau und war sofort eingeschlafen.
» E inen wunderschönen guten Morgen, gnädige Frau!«
Immerhin hatte Agnes noch so viel Anstand besessen, einen Knicks anzudeuten, wenn sie schon unangekündigt in ihr Schlafzimmer kam, war Friederikes erste Gedanke gewesen, als sie ein paar Stunden später mit dickem Kopf erwachte und zwischen den halb geöffneten Lidern ihre Zofe herannahen sah. Dem Klappern, das an ihr Ohr drang, konnte sie entnehmen, dass Agnes das Tablett mit ihrem Frühstück auf dem kleinen Tischchen neben dem Bett abstellte. Aus dem Nachbarzimmer hörte sie Ludwig fröhlich krähen und die Amme beruhigend auf ihn einreden. Alles schien zu sein wie immer.
Ein lautes Klatschen, als würde jemand die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, belehrte sie eines Besseren.
»Wie sieht es denn hier aus, Madame?«, rief Agnes theatralisch. »Überall liegen Ihre Sachen auf dem Boden herum. Was ist
denn passiert, um Gottes willen? Und wo ist der gnädige Herr - doch nicht etwa schon ausgeritten?«
Bevor Friederike Zeit hatte, sich über die Unverfrorenheit ihrer Zofe zu ärgern, kam ein weiterer ungebetener Gast ins Schlafzimmer gestürmt. Zwar hatte der Besucher einmal kurz geklopft, aber statt ihr »Herein« abzuwarten, hatte er einfach die Türklinke heruntergedrückt.
Emanuel! Der Ursprung allen Übels! Der Grund ihres Zerwürfnisses mit Carl! An ihn hatte sie gar nicht mehr gedacht. Was wollte er noch von ihr? Warum konnte er sie nicht wenigstens jetzt in Ruhe lassen? Wie sollte sie sich ihm gegenüber verhalten, nach alldem, was vorgefallen war?
»Guten Morgen, liebe Schwägerin! Wie geht’s uns denn so heute Morgen?«
Obwohl er sich bemüht hatte, einen forschen Ton anzuschlagen, konnte Friederike ihm ansehen, dass ihm ganz und gar nicht wohl in seiner Haut war. Mit der einen Hand hielt er sich einen kleinen, durchweichten Lederbeutel an die Stirn, in dem sich offenbar zerstoßenes Eis befand, mit der anderen nestelte er nervös an seinem Jabot.
Langsam hob Agnes Friederikes Blütenkämme vom Boden auf, um sie in ihren Händen hin und her zu wenden, als müsste sie untersuchen, ob ihnen auch nichts passiert wäre. Ihr war anzusehen, dass sie die Szene im Schlafzimmer ihrer Herrin hochinteressant fand und Zeugin weiterer dramatischer Ereignisse zu werden hoffte.
Sie weiß Bescheid, dachte Friederike, wahrscheinlich weiß jeder hier im Haus inzwischen, was gestern passiert ist.
»Du kannst gehen!«, entließ Emanuel Agnes mit einer ungeduldigen Handbewegung.
Als das Mädchen erschrocken zur Tür hastete, rief er ihr nach:
»Und bring mir auch einen Kaffee!«
Er griff nach dem zierlichen Holzstuhl, der vor Friederikes Frisiertisch stand, und platzierte ihn dicht vor ihrem Bett.
Sie konnte den Alkohol riechen, der noch immer scharf aus seinen Poren drang. Unauffällig zog sie sich die Decke bis zum Hals hoch, damit ihr Schwager nicht sehen konnte, dass sie nur mit einem Unterhemd bekleidet war.
»Guten Morgen, Emanuel«, erwiderte sie steif. »Ich wäre dir dankbar, wenn du dir deinen Kaffee in die Bibliothek bringen lassen und dort auf mich warten würdest, damit ich mich in Ruhe anziehen kann.«
»Warum auf einmal so prüde, liebe Schwägerin?«
Er schien
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