Die Porzellanmalerin
im zweiten Stock verschwunden war.
Im Lagerraum der Druckerei konnte man bereits kaum mehr die Hand vor Augen sehen, zumal sie, um keine Aufmerksamkeit zu erregen, auf eine Kerze verzichtet hatte. Zum Glück wusste sie jedoch, wo die Kisten mit den gedruckten Reiseformularen standen. Ihr Vater hatte sich erst kürzlich bei einem der Drucker darüber beschwert, dass sie ihm ständig im Wege seien. Zufälligerweise war Friederike dabei gewesen, als er den Mann ausgeschimpft
hatte. Mit zwei Handgriffen öffnete sie nun die oberste Kiste, zog einen ganzen Stapel Formulare aus einem Bündel heraus - für den Fall, dass sie sich verschreiben sollte - und verschloss die Kiste wieder. Als sie auf ihrem Weg zurück ins Haus die Küchentür öffnete, lief sie geradewegs Lilli in die Arme, die einen Eimer in der Hand hielt und in dem Moment nach draußen gehen wollte. Um ein Haar wären ihr vor Schreck die Papiere aus der Hand gefallen. Verblüfft schaute die Magd ihr nach, als Friederike wortlos an ihr vorbei nach oben ins Atelier hastete.
Kaum oben angekommen, wurde ihr klar, dass sie noch einmal zurück in die Küche musste. Ohne Kartoffeln kein Stempel! Hoffentlich war Lilli lange genug draußen beschäftigt! So unbedarft das Dienstmädchen auch war: Sie hätte sich bestimmt gewundert, ihrer Herrin innerhalb kürzester Zeit gleich zwei Mal in der Küche zu begegnen. Immerhin würde Ernestine ihr nicht in die Quere kommen. Die Köchin hatte heute Ausgang, das wusste Friederike genau. Mit beiden Händen nahm sie sich so viele Kartoffeln aus dem Korb in der Vorratskammer, wie sie tragen konnte, und hastete zurück in ihr Atelier.
Was für ein Wahnsinn! Nie im Leben würde sie mit einer so notdürftigen Fälschung über die Grenze kommen! Hektisch schnitt sie die erste Kartoffel in zwei Hälften. Aber aufgeben wollte sie auf keinen Fall - sie musste es einfach darauf ankommen lassen, sonst wäre gleich von Anfang alles verloren. Sie versuchte ihrer Aufregung Herr zu werden, während sie das abkopierte Siegel in die Kartoffel schnitzte und die winzigen Flächen zwischen den Strichen und Balken wegzuritzen begann.
Nach drei Anläufen war sie mit dem Ergebnis endlich halbwegs zufrieden. Schnell füllte sie das Dokument mit ihren Daten aus. Mit ihrem neuen Männernamen und einer erfundenen Adresse in der Barfüßergasse. Über einer Kerze erhitzte sie ein wenig Siegellack, gab ein paar Tropfen auf das Dokument und drückte ihr »Siegel« hinein. Als sie die Kartoffelhälfte wieder aus der Siegelmasse herausnehmen wollte, blieb prompt ein kleiner
Rückstand in dem zähen Brei hängen. Sie unterdrückte einen Fluch. Was half es, wenn sie jetzt die Nerven verlor? Vorsichtig kratzte sie mit dem Messer in dem härter werdenden Lack herum, bis sie endlich jegliche Kartoffelreste beseitigt hatte.
So, das war geschafft! Zufrieden hielt sie ihr nagelneues Reisedokument in den Lichtschein der Kerze, um es noch einmal zu begutachten. Alles in allem war ihre Arbeit ganz passabel. Ob man damit wirklich die Grenzkontrollen passieren konnte, würde sie sehen. Aber ganz ohne Papiere aufzubrechen, wäre in jedem Fall ein zu großes Risiko. Was für eine Blamage, wenn man sie gleich an der ersten Grenze wieder zurück nach Hause geschickt hätte, weil sie sich nicht ausweisen konnte!
Beim Frühstück am nächsten Morgen erzählte sie ihrem Vater und Georg, dass sie ausreiten und danach Charlotte treffen wolle. Ihr Vater war nicht sehr erbaut von der Vorstellung, seine Tochter ohne Begleitung ausreiten zu sehen.
»Georg wird dich begleiten«, bestimmte er.
»Das ist doch nicht nötig, Papa«, wiegelte Friederike ab, »ich reite nur ein wenig am Fluss entlang, das kann ich wirklich auch allein.«
Das hatte ihr gerade noch gefehlt - ausgerechnet Georg als Chaperon! Zu ihrer Erleichterung schien jedoch auch ihr Bruder wenig Neigung zu verspüren, den Vormittag mit ihr zu verbringen.
»Wie gern würde ich mit dir ausreiten, liebe Friederike«, flötete er mit einem Ausdruck tiefsten Bedauerns im Gesicht, »aber leider habe ich heute Vormittag ein paar wichtige Erledigungen zu machen.«
Konrad Simons runzelte die Stirn. Doch ihm war anzusehen, dass er gedanklich schon längst wieder bei seinen Geschäften war.
»Na ja, es wird schon nichts passieren. Reite aber nicht zu weit, bleib in Sichtweite der Wachposten, und nimm den Apfelschimmel!«
Friederike lächelte zustimmend. Wenn ihr Vater erst einmal in seine Bücher vertieft war, würde er
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