Die Porzellanmalerin
durch den Raum schweifen zu lassen. Die Schenke war erstaunlich voll dafür, dass es bereits so spät und Rochlitz nicht gerade der Nabel der Welt war. Hier musste sich tatsächlich die einzige Poststation
weit und breit befinden. Ohne ihre merkwürdige Begegnung auf der Landstraße wäre sie jetzt nicht hier. Danke, Waldschrat, dachte sie im Stillen, wer immer du gewesen bist!
In einer Ecke des holzgetäfelten, eigentlich recht gemütlichen Lokals mit den zahlreichen Stichen an den Wänden und den alten Krügen auf einem Bord saß eine Gestalt, die sich von allen anderen im Raum deutlich abhob. Nicht nur war der Mann um einiges besser gekleidet als die meisten anderen Gäste im Raum, auch war sein Gesicht trotz der großen, leicht gebogenen Nase viel feiner geschnitten und seine Hautfarbe um einige Nuancen dunkler. Seine Augen waren tiefbraun, das wellige schwarze Haar im Nacken zu einem lockeren Zopf gebunden. Friederike fühlte sich instinktiv zu ihm hingezogen.
»Ma che bel giovanotto!« , ertönte in dem Moment eine amüsierte Stimme in ihrem Rücken.
Friederike fuhr herum. Vor ihr stand die schönste Frau, die sie je gesehen hatte: mit langen roten Locken, großen grünen Augen, die sich von dem blassen Teint abhoben, und einem atemberaubenden Dekolleté in einem rostfarbenen Negligékleid, das bei jeder Bewegung unter dem kurzen Jäckchen hervorblitzte. Obwohl die Frau direkt vor ihr stehen geblieben war, hatte Friederike das Gefühl, dass sie nicht still stand. Die Energie, die von ihr ausging, schien sie vibrieren zu lassen. Sie mochte etwas älter als sie selbst sein und kam ganz offensichtlich aus Italien.
»Contessa, La prego, è appena arrivato! Lo lasci in pace, per favore, almeno per un momento!«
Der Mann war von der langen Sitzbank in der Ecke aufgestanden. Halb lachend, halb entrüstet versuchte er, die Rothaarige mit beschwichtigenden Gesten zur Räson zu bringen. Dann wandte er sich an Friederike.
»Sie müssen sie entschuldigen, sie ist Italienerin! Manchmal gelingt es uns Südländern einfach nicht, unser Temperament im Zaum zu halten.« Er lächelte charmant, um nach kurzem Innehalten fortzufahren: »Darf ich vorstellen: Contessa Emilia Di
Marzo aus Venedig. Und mein Name ist Giovanni Ludovico Bianconi, gebürtiger Bologneser und Sekretär der Contessa. Wir sind auf der Durchreise von Dresden nach Weimar, wo die Contessa eine alte Freundin besuchen will. Und Sie, Monsieur, wenn ich fragen darf? Was führt Sie zu später Stunde an diesen … nun ja, ich würde sagen: diesen eher unwirtlichen Ort?«
Nur wenn man ganz genau hinhörte, konnte man erahnen, dass Deutsch nicht die Muttersprache des eleganten Fremden war. Friederike war von seiner ganzen Erscheinung dermaßen fasziniert, dass sie sich regelrecht einen Ruck geben musste, um nicht unhöflich zu erscheinen und seine Fragen zu beantworten. Eine plötzliche Befangenheit hatte sie überfallen. Stockend erwiderte sie:
»Friedrich Christian Rütgers, Porzellanmaler aus Meißen. Ich bin auf der Durchreise nach Höchst.«
»La porcellana di Meißen! Bellissima! E Lei fa il pittore?«
»Emilia denkt immer, alle Leute müssten Italienisch sprechen«, lachte Bianconi beschwichtigend. »Dabei spricht sie selbst ziemlich gut Deutsch - immerhin kam ihre Mutter aus Wien. Aber in der Sache hat sie natürlich recht: Einen Porzellanmaler und noch dazu aus Meißen trifft man nicht alle Tage. Und nun wollen Sie zur Konkurrenz überwechseln, wenn ich das richtig sehe?«
Friederike spürte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg. Dieser Mann überforderte sie. Nicht nur, dass er ihr weiche Knie machte, weil sie ihn so ungemein attraktiv fand, nein, jetzt hatte er auch noch die Überläuferin in ihr entlarvt. Fehlte nur noch, dass er ihr auf den Kopf zusagte, sie sei in Wirklichkeit eine Frau!
Bianconi lachte leise. Seine dunklen Augen funkelten belustigt.
»Sie müssen nicht antworten, caro mio , niemand ist in diesem schönen Land dazu verpflichtet, gegen seine Überzeugung irgendwelche Aussagen zu tätigen. Ist es nicht so, Monsieur?
Noch ein Grund, warum ich euch und euer herrliches Land so liebe! Wir haben Florenz, die Franzosen Paris, aber ihr habt Dresden und Leipzig - Elbflorenz und das »Paris des Ostens« -, noch dazu in unmittelbarer Nähe! Ganz zu schweigen von Weimar, Jena und all diesen anderen bezaubernden Städtchen … Aber eins müssen Sie mir doch noch verraten: Reisen Sie allein oder in Gesellschaft?«
»Allein«, brachte
Weitere Kostenlose Bücher