Die Porzellanmalerin
die Perücke, die durch die heftige Ziehbewegung sogar noch ein Stück weiter nach oben katapultiert wurde. Lustig schaukelte sie an einem dünnen Ast etwa eine Elle über ihrem Kopf hin und her.
»Verdammt!«, entfuhr es ihr. Sie stellte sich auf Zehenspitzen, um nach der Perücke zu angeln, doch da war Bianconi bereits mit zwei großen Schritten hinter sie getreten, hatte die Arme rechts und links von ihrem Kopf in die Höhe gereckt, sodass die Spitzenmanschetten seines Hemdes und des darüber getragenen Redingotes seine schlanken Handgelenke freigaben, und pflückte das widerspenstige Haarteil vorsichtig vom Baum.
Langsam ließ er die Arme sinken. Sonst tat er nichts: Weder überreichte er ihr die Perücke, noch rührte er sich von der Stelle. Friederike hielt den Atem an. Fast meinte sie, sein Herz klopfen zu fühlen. Kaum einen Fingerbreit waren ihre Körper
mehr voneinander entfernt. Wenn ich mich jetzt umdrehe …, dachte sie.
Die Zeit schien stillzustehen. Hitze stieg ihr von unten den Körper hinauf. Sie hörte ihn atmen, spürte an ihrem Rücken, wie sein Brustkorb sich hob und senkte. Tamerlano wieherte leise. Friederike sah, wie die Perücke ins Gras fiel, als hätten sich Giovannis Finger einfach geöffnet.
Plötzlich spürte sie seine Hände an ihrem Nacken, die ihren Zopf lösten, dann seine Lippen an ihrem Hals, die sich einen Weg durch das dichte Haar zu ihrer nackten Haut gruben.
»Federica«, murmelte er an ihrem Ohr. »So heißt du doch, oder? Federica - Friederike …«
Sanft fasste er sie bei den Schultern und drehte sie zu sich herum. Ihre Gesichter waren fast auf einer Höhe. Nun erschreckte sein Blick sie überhaupt nicht mehr. Fast gleichzeitig legten sie die Arme umeinander. Und dann trafen sich ihre Münder, ihre Zungen, ihre Körper, und Friederike schien es, als wäre sie genau dafür geboren: diesen dahergelaufenen Italiener, von dem sie nichts wusste, außer dass er der Sekretär und mutmaßliche Liebhaber einer hemmungslosen venezianischen Adeligen war, diesen unverschämten Charmeur und Zyniker, diesen Giovanni Ludovico Bianconi aus Bologna zu küssen, bis ihr die Sinne schwanden.
» M eine liebe Friederike«, hatte Giovanni lachend bemerkt, als sie sich nach einer Ewigkeit voneinander gelöst, ihre Pferde bestiegen und sich erneut auf den Weg gemacht hatten, »das Erste, was ich tun werde, wenn wir unsere Zimmer in Köstritz bezogen haben, ist, dir dein Haar abzuschneiden. So kommst du nie als Mann durch, jedenfalls nicht ohne Perücke! Und wie nachlässig du mit diesem so notwendigen Utensil für deine Männlichkeit umgehst, haben wir ja gesehen, carissima mia . Zumindest mir war in dem Moment, als ich dich in der Altenburger Herberge erstmals ohne das Ding auf dem Kopf sah, vollkommen
klar, dass du eine Frau bist: Dein wunderschönes Haar hat dich verraten. Ich hatte zwar von Anfang an das Gefühl, das mit diesem Friedrich Christian Rütgers irgendetwas nicht stimmt, aber spätestens ab dem Zeitpunkt wusste ich genau, was mit dir los ist.« Er grinste spitzbübisch. »Was nicht heißt, dass deine Kutschfahrt mit der Contessa mich nicht beunruhigt, um nicht zu sagen: geärgert hätte! Du schienst mir heute Morgen allzu bereitwillig zu ihr in die Karosse gestiegen zu sein - vor allem nach dem, was ganz offensichtlich bereits am Vortag zwischen euch vorgefallen war.«
»Ach …«
Friederike beschloss, die Naive zu spielen. Sie war zwar noch immer vollkommen erfüllt von der zurückliegenden Stunde der Zärtlichkeit und Leidenschaft und mehr denn je fest davon überzeugt, Giovanni für den Rest ihres Lebens hoffnungslos verfallen zu sein, aber eine solche Gelegenheit, weitere Hinweise zum Verhältnis zwischen ihm und der Contessa zu erhalten, würde sich wahrscheinlich so schnell nicht wieder bieten.
»Zwischen uns vorgefallen? Wir haben uns unterhalten …«
Giovanni musterte sie mit hochgezogenen Augenbrauen. Sie ritten im Schritt, die Köpfe ihrer Pferde berührten sich beinah.
»Nun, ich kenne die gute Emilia seit einer ganzen Weile - recht intensiv, muss ich sagen. Ich weiß, wie sie ist. Sie kann nicht anders: Sie nimmt sich, was sie haben will. Ohne Rücksicht auf Verluste. Und vor allem ohne Rücksicht auf den Willen desjenigen, den sie besitzen will«, fügte er finster hinzu. »Wenn du nicht aufpasst, wirst du, ehe du dich’s versiehst, zu ihrem Sklaven. Sie frisst dich mit Haut und Haaren. Aber du wirst ihr nie genügen. Sie ist immer auf der Suche nach
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