Die Porzellanmalerin
nahegelegenen Jena das Schwarzbier gleich an Ort und Stelle genossen werden konnte. Was das wohl für Männer waren, die Emilia da so zufällig aufgegabelt hatte? Die Wirtsfrau schien mächtig beeindruckt von den »Herren von Stand« gewesen zu sein. Kein Wunder bei einer solchen Berline! Mit einer Karosse wie dieser wäre ihnen sicher das Malheur mit dem Achsenbruch erspart geblieben. Aber eigentlich konnte es ihr egal sein, wann Ernesto mit der reparierten Kutsche in Köstritz ankommen würde - sie hatte ja ohnehin die Absicht, ihre Reise ab morgen allein fortzusetzen. Nach dem Frühstück würde sie sich ordnungsgemäß von der Contessa - und leider auch von Giovanni - verabschieden und Tamerlano kräftig die Sporen geben, sodass sie es bis zum Abend vielleicht sogar bis Rudolstadt schaffte.
»Eccoci, caro Federico!«
Mit einer einladenden Geste hielt Giovanni ihr die Tür zu der Dachkammer auf. Er ließ sie nicht aus den Augen, während sie den Raum betrat und sich umschaute. Die Wirtin hatte nicht übertrieben: Das Zimmer war wirklich sehr bescheiden. Gerade einmal ein Bett, zwei Stühle und ein einfacher Holztisch passten hinein. Direkt neben der Tür befand sich außerdem ein Toilettentisch mit einer Waschschüssel auf der Marmorplatte. Sogar ein kleiner Spiegel in einem geschnitzten Rahmen war mittels eines verstellbaren Holzarms an dem Waschtisch befestigt. Das schmale Bett erschien ihr selbst für eine Person reichlich schmal.
Sie hatten kaum ihre Redingotes über die Stuhllehnen gehängt
und ihre schweren Stiefel ausgezogen, als es auch schon an der Zimmertür klopfte. Draußen stand die Wirtin mit einem Tablett in den Händen, auf dem sich die zwei versprochenen Krüge Schwarzbier sowie zwei Teller mit verschiedenen Wurstsorten und deftigem Bauernbrot befanden. In ihrer linken Schürzentasche steckte eine gewaltige Schere.
»Erst die Arbeit? Oder erst das Vergnügen?«, fragte Giovanni mit einem harmlosen Lächeln, nachdem er die Tür hinter der Wirtin geschlossen hatte.
Friederike war sich nicht ganz sicher, was er unter Arbeit und, vor allem, was er unter Vergnügen verstand, und entschied sich vorsichtshalber dafür, erst einmal eine Stärkung zu sich zu nehmen. Durch das kleine Dachfenster schien hell der Mond. Zwei dicke Kerzen auf Waschkommode und Holztisch beleuchteten ebenfalls das Zimmer. Eine lockere Unterhaltung über die zahlreichen italienischen Künstler, die es in den letzten Jahren nach Dresden verschlagen hatte, entspann sich zwischen ihr und Giovanni, während sie aßen, unterbrochen nur von der Wirtin, die ihnen nach einer halben Stunde unaufgefordert zwei weitere Maß Schwarzbier brachte. Friederike hatte das Gefühl, dass nicht nur sie, sondern auch Giovanni den Moment des Zubettgehens absichtlich hinauszögerte.
»Wollen wir?«, fragte der Italiener schließlich nach einem letzten großen Schluck Bier und schob seinen Stuhl nach hinten.
Friederike wurde blass. Wieder wusste sie nicht, was genau er meinte. Er schafft es immer wieder, mich zu verunsichern!, dachte sie fast wütend. Alles scheint wunderbar harmonisch und fließend, und dann kommt plötzlich eine Bemerkung von ihm, die das Ganze ins Wanken bringt.
Giovanni war hinter sie getreten. Aus den Augenwinkeln hatte sie beobachten können, wie er die große eiserne Schere von der Waschkommode genommen hatte. Sanft nahm er ihr die Perücke ab und öffnete ihren Zopf.
»Zieh deine Weste aus, Friederike«, sagte er scheinbar beiläufig, »sonst hast du nachher überall Haare kleben. Und am besten setzt du dich vor den Waschtisch, dann kannst du besser sehen, was ich mit dir anstelle.«
Friederike gehorchte. Sie fröstelte in ihrem Batisthemd und schlang sich die Arme um die Brust.
»Stillhalten, Friederike!«, ermahnte Giovanni sie. »Wie lang möchten Monsieur sein Haar tragen?«, fragte er dann mit gespieltem Ernst. »Schulterlang?«
»Ich … ich habe keine Ahnung«, erwiderte sie hilflos. Die ganze Situation überforderte sie. Ihr war noch immer kalt, aber sie bemühte sich, nicht mehr zu zittern und ihrer Nervosität Herr zu werden. »Wie trägt man denn sein Haar als Mann? Ich meine, so wie … Sie?«
Ihre Blicke trafen sich im Spiegel. Friederike hatte es nicht über sich gebracht, ihn zu duzen. Den ganzen Abend hatte sie es geschafft, diese Klippe zu umschiffen, zu intim erschien ihr das vertraute »Du«.
Giovanni, dem ihre Verrenkungen nicht entgangen waren, hatte sich von ihrer Zurückhaltung nicht
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