Die Porzellanmalerin
nie wieder aufstehen zu können: Alle ihre Glieder schmerzten, am meisten ihr Knie.
Umständlich stopfte sie sich das Kopfkissen in den Rücken und warf in großen Schwüngen ein paar Zeilen an ihre Eltern aufs Papier. Dann faltete sie das Blatt zusammen, schrieb die
Meißener Adresse darauf und ließ ein wenig Kerzenwachs auf die Ränder tröpfeln, um den Brief zu versiegeln.
Hollweg hatte die ganze Zeit wortlos aus dem Fenster gestarrt. Erst auf ihr »Ich bin so weit« hatte er sich zu ihr umgedreht und den Brief entgegengenommen.
»Auf Wiedersehen, Herr Rütgers« - er betonte ihren Namen auf merkwürdige Weise -, »seien Sie vorsichtig in Zukunft! Sie sollten besser die Postkutsche oder das Schiff nehmen, um wohlbehalten und gesund nach Höchst zu kommen. Glauben Sie mir, das ist sicherer!«
Er hatte ihr keine Zeit gelassen zu reagieren, sondern war geradewegs aus dem Zimmer gestürmt.
Unter großer Anstrengung hatte sie sich aus dem Bett gequält und war ans Fenster gehumpelt, um ihm nachzusehen. Er war schon halb aus der Toreinfahrt hinausgeritten, als er sich im Sattel umdrehte und zu ihrem Fenster hinaufblickte. War das ein Lächeln auf seinen Lippen? Oder bildete sie sich das nur ein?
Mit einem kräftigen Tritt in die Flanken setzte Richard Hollweg seinen Rappen in einen leichten Galopp. Eine Staubwolke war das Letzte, was sie von ihm sah.
Erst am nächsten Tag um die Mittagszeit fühlte Friederike sich so weit wiederhergestellt, dass sie es wagte, ihre Dachkammer zu verlassen. Fast zwei Tage hatte sie in diesem Zimmer verbracht - und entweder an Giovanni gedacht oder über den geheimnisvollen Richard Hollweg gegrübelt. Sie konnte sich keinen Reim auf sein seltsames Verhalten machen. Was ihn wohl umtrieb? Wohin er wohl tatsächlich unterwegs war? Ob er den Brief an ihre Eltern auch aufgab? Aber eigentlich hatte er einen zuverlässigen Eindruck auf sie gemacht, trotz seines Versteckspiels.
Auf der steilen Treppe konnte sie kaum etwas sehen, so düster war es um sie herum. Wegen ihres steifen Knies brauchte sie
Ewigkeiten, bis sie unten angekommen war. Die niedrige Decke der Gaststube wurde von dunklen Balken getragen. Im Kamin, an dessen Sims ein paar Kräuterbüschel zum Trocknen hingen, knisterte ein Feuer. Hinter der Theke stand die Wirtin und mischte aus mehreren Krügen ein Gebräu zusammen, das einen intensiven Geruch verströmte. Eine abgehärmte Magd saß an einem Spinnrad mit dem Rücken zum Feuer.
»Ich bringe Ihnen erst mal einen schönen heißen Wein!«, begrüßte die alte Frau Friederike. Sie schien ehrlich erfreut, sie zu sehen.
Friederike nickte dankbar und nahm an dem Holztisch Platz, der dem Feuer am nächsten war. Ihr steifes Bein streckte sie weit von sich.
Gerade als sie die Wirtin nach der besten Verbindung Richtung Höchst fragen wollte, flog die Tür auf. Drei Handwerksburschen betraten laut polternd die Gaststube. Weiße Schneeflocken zierten ihre schwarzen Schlapphüte und Umhänge.
Die Wirtin eilte den Neuankömmlingen entgegen, um ihnen die nassen Kleidungsstücke abzunehmen.
»Setzen Sie sich ans Feuer, meine Herren! Herr Rütgers wird sicher gern ein Stückchen aufrücken …«
Auffordernd blickte sie Friederike an, die pflichtschuldig ihre breitbeinige Haltung aufgab.
»Friedrich Christian Rütgers«, stellte sie sich vor, nachdem die Männer es sich polternd an ihrem Tisch bequem gemacht hatten. »Ich bin Porzellanmaler und unterwegs nach Höchst.«
»Na, da werden Sie aber nicht so schnell hinkommen, fürchte ich. Bei den Schneemassen da draußen …«, brummte der älteste der drei Gesellen. Er hatte ein auffallend stumpfes Gesicht und nur noch wenige Haare auf dem Kopf.
»Ach, Wilhelm, was unkst du da wieder rum?«, erwiderte sein Kollege, den Friederike schon wegen seiner Statur für den Anführer des Trios hielt. Er hatte als Erster den Schankraum betreten und war gleich auf den besten Platz zugesteuert.
»Michael Aubach mein Name«, sagte er nun an sie gewandt. »Und das sind Johann Müller und Wilhelm Ostler. Wir sind Schreinergesellen auf Wanderschaft. Wir sind heute von Frankfurt hierhergelaufen und wollen weiter nach Fulda, dort wird zur Zeit viel gebaut. Da braucht man immer Schreiner. Aber jetzt hat uns das Wetter einen Strich durch die Rechnung gemacht. Sieht ganz so aus, als müssten wir heute hier übernachten.«
Die Wirtin brachte nun auch den Handwerkern heißen Gewürzwein. Alle drei hatten sie vor Kälte gerötete Gesichter und blaue
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