Die Porzellanmalerin
die Galgen gesehen, als wir nach Hanau reinkamen? Die Polizei lässt die Leichen, von denen, die sie erwischt hat, absichtlich hängen, um die anderen Räuber abzuschrecken. Trotzdem werden es nicht weniger.«
Friederike war viel zu benommen gewesen, um die Galgen am Ortseingang zu bemerken. Immerhin wusste sie jetzt, dass sie sich in Hanau befand. Sie nahm sich vor, nach ihrer Ankunft in Höchst gleich Schießen und Fechten zu lernen. Als Mann konnte sie problemlos Unterricht nehmen, man würde sich höchstens wundern, dass sie diese Fähigkeiten nicht schon früher erworben hatte. Sie wollte nie wieder in eine Situation kommen, in der sie sich nicht verteidigen konnte. Das Messer in ihrem Stiefel: lächerlich! Selbst wenn sie in dem Moment des Überfalls mehr Geistesgegenwart besessen hätte, wäre sie gar nicht an ihren Stiefel herangekommen. Und dann hätte sie nicht gewusst, wie sie das Messer hätte benutzen sollen. Der Gebrauch von Waffen musste geübt werden, sonst war man im Notfall nicht in der Lage, sie einzusetzen. Das war ihr jetzt klar. Das nächste Mal würde sie sich besser verteidigen können, schwor sie sich.
»Es war mein Reisekamerad, der mir die Waffen gestohlen hat«, log sie weiter.
Sie hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie nicht gern die Unwahrheit sagte und diesem Mann, dem sie instinktiv vertraute, lieber erzählt hätte, was wirklich passiert war. Aber irgendetwas hielt sie davon ab. Sie spürte, dass er ihr sowieso nicht glaubte.
»Und Sie?«, ging sie nun zum Gegenangriff über. »Warum sind Sie allein unterwegs?«
»Ich reise nur eine kurze Strecke allein. Für mich ist das nicht so gefährlich«, antwortete er in einer Weise, die keine weiteren Fragen zuließ.
»Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt«, sagte Friederike nach einem kurzen, unbehaglichen Schweigen und streckte die rechte Hand aus dem Bett. »Friedrich Christian Rütgers. Ich bin Porzellanmaler und auf dem Weg nach Höchst am Main.«
Ihr Retter war mit seinen langen Beinen in einem großen Schritt ans Bett getreten und hatte ihre Hand ergriffen. Wieder schaute er an ihr vorbei, als er sich vorstellte:
»Sehr erfreut! Richard Hollweg ist mein Name.«
Was hat er bloß zu verbergen, dass er mir nicht ins Gesicht schaut?, überlegte Friederike. Auch war ihr das kurze Zögern nicht entgangen, als er ihr seinen Namen genannt hatte.
»Warum sind Sie in die Richtung zurückgeritten, aus der Sie gekommen sind?«, fragte sie schließlich.
»Na, um Sie zu begleiten natürlich! Allein hätten Sie das nicht geschafft!« Hollweg - falls das sein wirklicher Name war - zeigte eine erstaunte Miene.
»Und wohin sind Sie unterwegs?«
Jemand anderen ins Kreuzverhör zu nehmen gefiel ihr besser, als sich selbst Lügen ausdenken zu müssen.
»Nach Norden«, sagte er vage und begann gemächlich, seine Stiefel auszuziehen.
Erst in dem Moment wurde ihr klar, dass sie schon wieder die Nacht mit einem fremden Mann in einem Bett würde verbringen müssen. Das erste und bisher einzige Mal war in Köstritz mit Giovanni gewesen. Sie schluckte. Ganz ruhig bleiben, ermahnte sie sich, es war völlig normal, dass mehrere Reisende sich ein Zimmer teilten, außerdem waren sie ja beide Männer. Fieberhaft ging sie im Geiste die Möglichkeiten durch, wie sie doch noch aus dieser Situation herauskommen könnte. Aber es wollte ihr partout keine einleuchtende Begründung einfallen, mit der sie jetzt noch ein eigenes Zimmer hätte verlangen können.
Ein solches Ansinnen würde nur zu weiteren Fragen führen, die sie auf jeden Fall vermeiden wollte. Abgesehen davon würde Richard Hollweg sie beschützen können, falls in der Nacht jemand in den Raum einbrechen sollte. Sie mochte seine ruhige und kompetente Art, die Dinge zu regeln, ohne irgendetwas zu dramatisieren. Alles schien ihm leicht von der Hand zu gehen. Und auch, dass er nicht weiter in sie gedrungen war, obwohl er ihr ihre Geschichte ganz offensichtlich nicht abgenommen hatte - so wie sie ihm ja ebenfalls nicht geglaubt hatte -, gefiel ihr.
Friederike, die am äußeren Bettrand lag, Rücken an Rücken mit dem bloß mit einem Hemd bekleideten Hollweg, hatte längst die Kerze ausgeblasen, als sie beschloss, das Schweigen zu brechen. Sie wusste, dass ihr Bettnachbar genauso wenig schlief wie sie.
»Würden Sie einen Brief von mir mitnehmen und ihn nördlich von Kassel aufgeben?«
Beinah gleichzeitig hatten sie die Köpfe einander zugewandt. Selbst im Dunkeln konnte sie sein Profil
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