Die Porzellanmalerin
Zeit, sondern sich lieber in der Kunst des Fechtens übt, während andere Leute ihrer Arbeit nachgehen, der verpasst eben das eigentlich Wichtige … Vergangene Nacht«, fuhr er in theatralischem Tonfall fort, »hat es in der Manufaktur gebrannt!«
»Gebrannt?« Sie wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Große Beklommenheit erfüllte sie plötzlich.
Zeschinger schien ihre Unruhe zu spüren.
»Keine Sorge, ist alles nicht so dramatisch, wie es klingt! Eigentlich ist es sogar ziemlich glimpflich abgelaufen. Allerdings hat die Sache womöglich Konsequenzen …«
Mit knappen Worten berichtete er von dem Brand, der vor allem im Schreib- und Packraum gewütet und wichtige Notizen vernichtet hatte. Bevor die Flammen in die anderen Räume hatten übergreifen können, waren dem Nachwächter bei seinem Rundgang durch die Stadt die dicken Rauchschwaden aufgefallen, die aus dem geöffneten Fenster im Erdgeschoss aufgestiegen und in der mondhellen Nacht von außen gut zu erkennen gewesen waren. Schnell hatte der Mann einige Nachbarn aus dem Schlaf geklingelt und mit ihrer Hilfe den Brand gelöscht.
»Benckgraff geht von Brandstiftung aus«, beendete Zeschinger seine Schilderung der Ereignisse. »Er hat auch einen ganz bestimmten Verdacht.« Mit einem vielsagenden Augenaufschlag deutete er auf den Teller in seiner Hand.
Die kleine blaue Blume, die verloren und ganz allein am Rand des Tellers saß, fiel ihr sofort ins Auge.
»Wieso malst du die Blume denn da hin, Johannes? Da ist doch sonst nichts«, bemerkte sie verwirrt. Laut Vorlage, die ausgebreitet auf dem Arbeitstisch lag, war die Glockenblume gar nicht vorgesehen.
»Tja, weil die lieben Kollegen mal wieder gepfuscht haben, deshalb!« Er zeigte mit dem Kinn in Richtung Brennofen. »Ständig müssen wir ausbaden, was die verbockt haben!« Der sonst so zurückgenommene Zeschinger klang wütend. »Bald ist Messe. Wir haben jede Menge Arbeit zu erledigen, und die da« - wieder nickte er in Richtung Ofen - »liefern uns lauter Zeug mit Blasen ab. Sieh dir das an!«
Er wies sie auf eine weitere Unebenheit in der Glasur hin.
Auch sie konnte jetzt eine ganze Reihe kleiner Fehler im Material erkennen. Johannes hatte sie hervorragend retuschiert.
»Weißt du, wie man so etwas nennt: Sabotage! Und der Brand passt genau ins Konzept!«, ereiferte er sich.
Sicher hörte Johannes mal wieder die Flöhe husten. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass irgendjemand absichtlich die Arbeit in der Manufaktur behinderte oder mit einer solch brachialen Methode wie Brandstiftung unterlief. Erst recht nicht einer der Mitarbeiter. Schon öfter hatte sie gedacht, dass Johannes mit seiner schwarzseherischen Art übers Ziel hinausschoss.
»Aber willst du wirklich die Blume so allein am Rand stehen lassen?«, fragte sie, um ihr Streitgespräch wieder auf eine sachlichere Ebene zurückzulenken. »Sieht das nicht seltsam aus?«
»Mal sehen, was der Alte dazu sagt … Ich habe hier nur so einen Mist rumstehen, der mir zusätzlich Arbeit macht. Weil die Brenner unfähig sind! Seit Ringler weg ist, bekommen die ihre
Fehlbrände überhaupt nicht mehr in den Griff.« Er runzelte die Stirn. »Apropos: Du sollst gleich zu Benckgraff hochgehen, er hat einen Auftrag für dich.«
Hatte da ein Hauch von Eifersucht in seiner Stimme mitgeschwungen? Oder bildete sie sich das nur ein? Immerhin war Zeschinger mit Benckgraffs Lieblingstochter verheiratet und hatte ihn mehrfach zum Großvater gemacht. Doch in den letzten Wochen hatte sich ein immer stärkeres Vertrauensverhältnis zwischen dem alten Griesgram, der die Manufaktur leitete, und ihr herausgebildet. Sie hatte hart und viel gearbeitet, weshalb ihr auch genehmigt wurde, einmal in der Woche während der Arbeitszeit Fechtstunden zu nehmen, obwohl Benckgraff diese Art von »Leibesübungen«, wie er sich ausdrückte, eigentlich lächerlich fand. Johannes Zeschinger war nicht zuletzt in seiner Eigenschaft als Schwiegersohn ein Vertrauter des Direktors, zumindest war er das bis zu ihrer Ankunft in Höchst gewesen. Hatte er womöglich Angst um seine Position?
Benckgraff trat hinter seinem Schreibtisch hervor, kaum dass sie angeklopft und die Tür aufgestoßen hatte. Umständlich räumte er einen Stapel Papiere von einem Stuhl und stellte ihn vor den Schreibtisch.
»Setzen Sie sich!«, sagte er mit einer auffordernden Handbewegung. »Weshalb ich Sie sprechen wollte …«
Über den Rand seiner kleinen Brille musterte er sie prüfend, bevor er
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