Die Porzellanmalerin
genauso gut von Benckgraff persönlich stammen können, beruhigte sie gleich darauf ihr schlechtes Gewissen, und außerdem war Johannes ja schon in der Vergangenheit häufiger dort gewesen. Man muss Anfängern eine Chance geben, sonst wird nie etwas aus ihnen, lächelte sie in sich hinein, die in ihrer Familie vielfach zitierten Worte ihres weitblickenden Vaters erinnernd. Obwohl man sie trotz ihres jugendlichen Alters natürlich längst nicht mehr als Anfänger bezeichnen konnte! Im Gegenteil, wie allen in der Manufaktur deutlich bewusst war. Immer öfter kam es jetzt vor, dass der Lehrjunge nicht mehr Johannes, sondern sie um ihre Meinung bat, und auch die meisten Stammkunden wollten am liebsten sie für ihre anspruchsvollen Projekte einspannen. So wie dieser reiche Frankfurter Kaufmann, der erst kürzlich bei Benckgraff ein chinesisches Teeservice in Auftrag gegeben hatte und ausdrücklich nach »dem neuen Maler aus Meißen« verlangt hatte. Die rechteckige Teedose hatte sie vorhin erst aus der Kammer mit den gebrannten Scherben geholt, und die Skizze mit den Mandarinenten und weiteren chinesischen Wasservögeln auf einem Teich inmitten von Lotusblüten lag schon an ihrem Platz bereit. Bisher war die veränderte Situation zwischen ihr und Johannes noch nicht zur Sprache gekommen. Sie hielt Benckgraffs Schwiegersohn für integer, er war alles andere als ein Intrigant und spielte sich auch nicht besonders auf. Trotzdem durfte sie die Sorge um ihr künftiges Verhältnis zu ihm nicht aus dem Auge verlieren. Er sollte ihr Freund bleiben und nicht irgendwann eifersüchtig auf sie sein. Sie würde sich am Abend mit Josefine beratschlagen, wie sie sich Johannes gegenüber am besten verhalten konnte, das war eine gute Idee! Darüber würde die Freundin vielleicht sogar vergessen, dass sie den Fechtmeister nicht zum Essen eingeladen hatte.
Der Ochse hing in einem Gurt an dem großen Kran über dem Mainkai und brüllte wie am Spieß. Er ließ einen dicken gelben Urinstrahl auf den heranfahrenden Planwagen niederregnen und zappelte wild mit den Beinen. Der Fuhrknecht schüttelte drohend die Faust in Richtung Kranmeister und fluchte. Der alte Klepper, der ganz allein vor dem Gefährt angespannt war, bockte und wieherte aufbegehrend. Genau unter dem Ochsen, der weiter herabgelassen wurde, blieb der Planwagen stehen.
»Halt!«, schrie in dem Moment der Kranmeister. Sofort hörten die Kranknechte auf, das Rad zu drehen. Mit einem metallischen Ächzen kam der Kran zum Stillstand. Nur wenige Zoll lagen noch zwischen Planwagen und Ochsenhufen. Die Schaulustigen klatschten, als befänden sie sich im Theater.
Friederike stand schon seit einer guten Viertelstunde in dem dichten Gedränge auf dem Marktschiff aus Höchst und beobachtete das Geschehen. Am Frankfurter Ufer in Höhe des Fahrtors herrschte ein solcher Betrieb, dass das Schiff nicht anlegen konnte. Kaum war die abgerundete Spitze des Doms hinter der Flussbiegung zu sehen gewesen, hatten die Fahrgäste sich ausstiegsbereit gemacht. Das Marktschiff war prompt beängstigend auf die Seite gekippt. Die Frau hinter Friederike hatte ein kleines Zicklein dabei, das sie nun auf dem Arm hielt, damit es nicht totgetrampelt würde. Die Ziege meckerte ungeduldig, um schließlich resigniert am Kragen von Friederikes neuem Samtrock mit den silbernen Knöpfen herumzuknabbern.
Endlich ruderten ein paar Fischer ihre Nachen zur Seite, sodass das Marktschiff am Kai anlegen konnte. Kaum hatte der Ochse wieder festen Boden unter den Hufen, legte ein bärtiger Mann auf einem schaukelnden Lastkahn schon dem nächsten Ochsen den Gurt um den Bauch.
Zwischen aufgestapelten Holzstämmen, herumstehenden Fässern und Fuhrwerken hindurch bahnte Friederike sich an diesem wunderbaren Frühlingstag ihren Weg. Frankfurt - wie gut
sich das anfühlte! Nach all den Monaten in Höchst war sie froh, wieder einmal in einer echten Stadt zu sein. Ein wenig erinnerte sie die Situation an Meißener Zeiten: Auch damals hatte sie sich gefreut, hin und wieder nach Dresden fahren zu können, um den Duft der großen weiten Welt zu atmen.
Noch bevor sie die ersten Messebuden erreicht hatte, war ein kleingewachsener Mann mit einer Kiepe auf dem Rücken auf sie zugetreten. Sein spitzes Gesicht und die strähnigen schwarzen Haare ließen sie unwillkürlich an einen Raben denken. Weiße Schuppen lagen wie Schnee auf den Schultern seines Rockes.
»Monsieur«, flüsterte er heiser, »wir haben alles, wovon Sie träumen.
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