Die Praktikantin
Tantiemengesprächen darum ging, die »Verbesserung der journalistischen Qualität« zu beweisen, die mir immerhin 1000 Euro zusätzlich in diesem Jahr bringen konnte. Geld, das ich abgeschrieben hatte, bevor Elisabeth aus dem Urlaub zurückgekommen war und das Baby vor der Redaktion gefunden hatte.
Clemens’ Unglück war unser, vor allem mein Glück gewesen und hoffentlich das Ende der Pechsträhne, die mit dem Termin beim alten Michelsen begonnen hatte. So wie der kleine Henri zu Clemens geworden war, konnte ich doch noch vom Chefredakteur der
Wützener Zeitung
zum Chef der
Metro-News
werden und vom fiesen Vorgesetzten, der seine Untergebenen schamlos angrabbelte, zum echten Vertrauten Elisabeths. Ein kleines Was-auch-immer auf Mallorca, ein elternloser Tragekorb |200| vor der Tür, zwei Tage mit Rekordauflagen, und das ganze Spiel begann von vorn.
Ich schaltete den Fernseher rechtzeitig zum Beginn der
Tagesthemen
ein, köpfte die zweite Flasche Prosecco, als der Sprecher (leider nicht Tom Buhrow!) »nach Informationen der Wützener Zeitung« sagte, und rechnete damit, dass jeden Moment mein Handy klingeln und der Professor selber mir zu diesem Scoop gratulieren würde.
Solange es stumm blieb, stieß ich mit mir selber an: »Prost, Johann! Du wirst deine Chance wützen.« Ich zappte auf
n-tv
, wo »laut Wützener Zeitung« alle halbe Minute auf dem Laufband aufblinkte. Ich sah mir im
WDR
eine Sondersendung zu dem Fall an, in der auch noch einmal Passagen aus dem Interview mit mir gesendet wurden. Ein Mitarbeiter des
Medium-Magazins
fragte per Mail an, ob er eine Reportage über die
Wützener Zeitung
als »Lokalzeitung im Fadenkreuz des nationalen Interesses« machen könne. Ich schrieb zurück: »Selbstverständ lich « und sah dann die unfertige E-Mail an Elisabeth. Ich musste sie beenden und abschicken.
»Liebe Elisabeth«, hatte ich geschrieben, »angesichts Ihrer Erlebnisse heute ist es mir ein Bedürfnis, mich noch einmal bei Ihnen zu entschuldigen, sollte ich Ihnen in den vergangenen Monaten einmal (oder mehrfach) zu nahe gekommen sein. Ich habe unsere gemeinsame Zeit am Telefon und bei der Besprechung Ihrer Texte immer sehr genossen, manchmal vielleicht mehr, als es mir als Ihrem Vorgesetzten zusteht. Aber ich hatte zu keiner Zeit vor, das Abhängigkeitsverhältnis, das zwischen uns bestand, in irgendeiner Form auszunutzen. Um ehrlich zu sein, und das war sicherlich mein größter Fehler, habe ich Sie mit der Dauer unserer Zusammenarbeit weniger als Praktikantin denn als Vertraute und, entschuldigen Sie noch einmal diese Anmaßung, als Freundin gesehen. Ich …«
Ich musste verrückt sein, auch nur eine Sekunde daran gedacht zu haben, diese E-Mail tatsächlich abzuschicken. Sie war |201| der direkte Weg zur fristlosen Kündigung, das perfekte Plädoyer für einen Rechtsanwalt, das Schuldeingeständnis eines Chefredakteurs, der gerade durch die Geschichte einer ungewollten Praktikantinnenschwangerschaft bundesweit für Schlagzeilen sorgte, und am Ende auch noch eine Art Liebeserklärung an eine junge Frau, die sich gerade von ihrem Freund getrennt hatte. So ging das nicht.
Ich legte eine neue Mail an, gab wieder Elisabeths Adresse ein und schrieb:
Liebe Frau Renner,
selbst in den Tagesthemen wird Ihre Geschichte zitiert. Sie können sehr stolz auf sich sein, und ich bin Ihnen als Chefredakteur der Wützener Zeitung für Ihren Einsatz und Ihren Spürsinn zu außerordentlichem Dank verpflichtet.
Wenn man sich bemüht, so unpersönlich wie nur irgend möglich zu schreiben, schreibt man automatisch wie der Sachbearbeiter im Finanzamt. Perfekt!
Doch bei diesen Dankesworten allein soll es natürlich nicht bleiben. Ich …
Jetzt war ich an dem Punkt, an dem ich bei der ersten E-Mail hatte weitermachen wollen.
… habe Ihnen immer versprochen, Ihnen bei Ihrem weiteren Weg in den Journalismus zu helfen. Es ist jetzt höchste Zeit, dieses Versprechen einzulösen. Ich habe schon während Ihres Urlaubs mit dem Chefredakteur der Metro-News gesprochen und ihn gefragt, ob Sie kurzfristig, sozusagen auf Zuruf, bei ihm ein Praktikum machen könnten, und habe ihm natürlich kräftig von Ihnen …
Nicht schon wieder. Ich löschte die letzten drei Buchstaben.
… Ihren journalistischen Fähigkeiten vorgeschwärmt. Er hat mich an den Ressortleiter der Politik verwiesen, meinen Nachfolger sozusagen, der sich sehr freut, Sie kennenzulernen. Alles Weitere, vor allem natürlich den Beginn und die Dauer Ihres Praktikums
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