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Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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auf dem Baum das Totenlied gesungen hatte, hatten zwei Dutzend fränkische Männer den Tod gefunden. Wenn die Obodriten den Marder zu ihrem Fürsten brachten und er ihn von einem Angriff auf Rethra überzeugte, was dann? Hatte sie nicht schon längst mehr
zerstört
, als selbst den fähigsten Menschen in ihrem Leben
aufzubauen
gelang?
    »Alles, was ich wollte, Lichtbringer, war, meinem Vater gehorsam zu sein.« Es war gelogen. Sie hatte Ansehen gewollt und Freiheit zu tun, was sie wünschte. Hieß diese Freiheit nicht Macht?
    Der Storch flog auf und landete ein Stück entfernt wieder.
    »Ich wollte keine sein, die Zerstörung veranlaßt. Ich bin mit den Männern nur deshalb in Richtung Elbe gezogen,weil mein Vater es befohlen hatte. Kannst du, Svarožić, nicht alles wieder rückgängig machen? Laß mich aus diesem Traum erwachen, laß mich die Mutter eines kleinen Sohnes oder einer kleinen Tochter werden, und ich will dir ein großes Opfer bringen. Wird es ein Sohn, so werden Vater und ich ihn zu einem würdigen Priester für dich erziehen. Wird es eine Tochter, so will ich den Ertrag unserer vier Hände außer dem Nötigsten, das wir verzehren, deinem Tempel schenken. O bitte, Svarožić, laß mich erwachen! Ich bin zufrieden mit einem ganz einfachen Leben.«
    Sie schloß die Augen und öffnete sie wieder. Im schwarzen Wasser blickte sie in ein enttäuschtes Gesicht. Sie hätte Embricho nicht küssen dürfen. Konnte ihr Svarožić nicht verzeihen? Sie wagte nicht, noch einmal die Augen zu schließen.
    Mit einem langen Seufzer erhob sie sich. Die Brühe floß in Bächen an ihrem Kleid herab. Es hatte eine nachtschwarze Farbe angenommen und stank. Alena reckte den Hals, sah den Fluß entlang: keine Boote. Sie kehrte dem Wasser den Rücken zu, nahm an den Oberschenkeln das Kleid zwischen die Finger und zog es von den Beinen weg, dann ging sie los, sinnlos bemüht, die nasse Wolle von ihrer Haut fernzuhalten, während sie an Bauch, Brust und Knien klebte und Alena frösteln ließ.
    Sie klapperte mit den Zähnen, sog dabei zischend Luft ein. Immer fester wurde der Morast unter ihren Füßen, bis sie schließlich trockenen Boden erreichte. Ein lichter Wald begann; Eschen und Pappeln und Weiden wiegten ihre Äste.
    »Ich gehe nach Zwerin und löse Embricho aus.« Alena fühlte einen dicken Tropfen ihren Nacken herunterlaufen und hob die Hand, um ihn aufzuwischen. »Was ist mein Leben wert, wenn du mir zürnst, Svarožić? Entweder du schenkst der Nawyša Devka Erfolg, oder sie findet ihr Ende gemeinsam mit dem erwählten Opfer.«
    War das nicht Gesang? Aus weiter Entfernung rührtenTöne an Alenas Ohren. Sie lächelte. Sollte das ein Zeichen sein? Ein Zeichen, daß Svarožić sie nicht verlassen hatte? Daß die Befreiung gelingen würde? Sie beschleunigte ihre Schritte.
    Eine schöne, tiefe Frauenstimme war es. Sie sang im Dialekt der Obodriten. Bald konnte Alena die Frau sehen. Oben in einer Linde saß sie auf einem Ast, und neben ihr hing ein abgerundeter Korb; dem hatte sich die Frau zugewendet, es sah beinahe aus, als singe sie den Korb an.
    Alena blieb stehen. Die andere schien sie nicht bemerkt zu haben, das freute Alena. Sie lächelte, lauschte. Das Zähneklappern verebbte.
     
    »Bienchen, Bienchen summt nur munter,
    Baut euch Waben in das Haus.
    Bringt darinnen Honig unter
    Dann mach ich mir Met daraus.
     
    Bienchen, Bienchen summt behende,
    Fliegt und sucht euch süße Blüten.
    Stecht mich nicht – ich gab euch Wände
    Honigsüß sollt ihr’s vergüten.«
     
     
    Die Frau kletterte ein Stück herunter und hob den Arm zum Korb herauf. »Kommt raus, meine Kleinen«, sagte sie. Dann stieg sie weiter herab, langsam, setzte Füße und Hände so bedächtig auf die Äste, als würde eine ruckhafte Bewegung sie brechen lassen. Während sie kletterte, summte sie weiter die Melodie ihres Liedes.
    »Ich grüße dich«, sagte Alena, als die Frau die unteren Äste der Linde erreicht hatte.
    Erschrocken umklammerte sie den Baum, starrte auf Alena mit faustgroß aufgerissenen Augen. »Was bist du?«
    »Ein Mensch. Das war der Schlamm am Ufer des Flusses dort.«
    »Du bist ja vollkommen schwarz!«
    »Mein Name ist Alena.«
    Nun plötzlich brach die Frau in ein fröhliches, tiefes Lachen aus. Sie sprang vom letzten Ast herunter und lachte weiter, während sie sich mit den Händen Luft zufächelte, als würde es ihr während des Lachens daran mangeln. »Der Schlamm!« rief sie. »Du hast dich im Schlamm

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