Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)
Bloß das Wachs dürfen wir behalten. Natürlich können Mutter und ich nicht davon leben.« Die Imkerin schlug Alena den Handrücken gegen die Schulter. »Hör zu: Sag Mutter auf keinen Fall, welches Blut in deinen Adern fließt, verstanden? Seit mein Mann gestorben ist, ist sie noch schreckhafter geworden. Es ist kein böser Wille, aber in ihrer Angst würde sie sofort zum Zupan laufen und ihm dein Geheimnis preisgeben.«
»Dann würde er mich sicher einsperren und befragen, wenn nicht Schlimmeres!«
»Es wird nicht geschehen. Paß einfach auf, was du redest. Sie meint es ja nicht böse.«
Der Wald öffnete sich, wurde von Feldern abgelöst. Dünne Hirsekolben wippten zwischen Blättern an Tausenden von Halmen. Dann wieder folgte eine gelbliche Roggenfläche, in deren Nähe Rinder auf einem Stück Brachland grasten. Ein Hund trieb zwei Schafe und ein Lamm entlang des Weges auf das Dorf zu, dicke, klagende Tiere, hinter ihnen der abgemagerte Hund, an dessen Körper beim Laufen die Rippen spielten. Er bellte kurze Warnungen, wenn eines der Schafe versuchte, sich seiner Verfolgung zu entziehen, und sprang auf die Seite, zu der es sich wenden wollte.
Die Häuser umgab ein grober Holzverhau aus armdicken Ästen; er ließ das Dorf wie einen Biberbau erscheinen. Noch davor erreichten Alena und Gnevka in schmale Streifen geteilte Gärten. Linsen wuchsen dort, Erbsen, Ackerbohnen, Zwiebeln, Möhren, Mohn, Rüben, Hanf und Gurken. Alena fühlte sich, als müßte sie jeden Augenblick verbrennen. Sie brach in Schweiß aus. Redarieraugen waren es, die die Siedlung der Obodriten bespähten, Redarierfüße, die den Feindesweg betraten – mußten nicht Hunde sie anfallen, mußten nicht Axtklingen sie bedrohen, verletzen, töten?
»Das sind die schönen Gärten hier, die großen«, sagte die Imkerin. »Mein Garten liegt weit dort hinten, in der Nähe des Waldes. Und glaub mir, das macht einen Unterschied. Vom Waldrand wehen die Samen herüber, Scharbockskraut. Das wuchert am Waldrand bis unter die ersten Bäume, du mußt es im Frühjahr sehen, ein ganzer gelber See. Zuerst sind es nur einige gelbe Blüten am Rand deiner Beete. Aber ein Jahr später zwängen sie sich zwischen deine Salatköpfe, überwuchern die Stengel der Zwiebeln und ersticken den Lauch. Stundenlang stehst du, hackst auf sie ein, daß dirder Schweiß den Rücken herunterläuft, und doch vernichtest du nur die Blüte und das Kraut, dabei kriechen die Wurzeln weiter und bilden kleine Knollen aus, und damit schieben sie sich tiefer und tiefer wie eine böse Krankheit in den Erdkörper des Gartens. Im nächsten Frühjahr schließlich ist ein Drittel des Bodens unter dem gelben See begraben und verloren.«
»Läßt sich nichts dagegen tun?«
»Schwer. Du kannst den Spaten in die Erde stoßen und sie ausgraben, das ist der einzige Weg. Tief mußt du hinunter, und dann mit den Händen die Erde nach den kleinen Knollen durchwühlen, bis dir die Finger stumpf sind vor Dreck und die Haut dazwischen hart geworden ist. Die Sonne brennt auf deinen Rücken herunter, du kannst sie nur noch hassen, diese Knollen – wie Würmer erscheinen sie dir, dicke Larven, die den Boden verseuchen.«
»Ist euer Garten verloren?«
»Nein. Inzwischen bin ich klüger. Ich lasse kein einziges dieser Kräuter auch nur in der Nähe unseres Bodens in die Höhe sprießen. Wo ich sie sehe, grabe ich sie aus.«
Alena betrachtete einen kleinen Vogel mit rotem Schwanz, der sich auf einem Stock niedergelassen hatte. Die zwei Frauen, die in seiner Nähe den Boden lockerten, indem sie die Enden von Geweihen in die Erde schlugen und dann wieder herausbrachen, schienen ihn nicht zu stören. Das ganze Beet entlang ragten in zwei Reihen Stöcke aus dem Boden, und grüne Ranken kletterten daran hinauf. Der Vogel drehte sich; bei jeder Bewegung spreizte er kurz die Flügel, als wollte er seinen Platz verlassen. So fühlte sich Alena: Auf dem Sprung, den Moment herbeifürchtend, wenn sie den Weg nach Zwerin erfragte. Wie konnte sie es anstellen zu fragen, ohne als Spionin Rethras entlarvt zu werden? »Das sind Bohnen, richtig?«
»Bohnen, ja, warum fragst du? Habt ihr keine Bohnen bei euch? Hier lernt man schon als kleines Kind … Warte, wie hat Mutter das immer gesagt? ›Sie müssen noch dieVögel singen hören, Kind. Wenn du sie zu tief in die Erde steckst, werden sie weich im feuchten Erdreich, und dann fressen die Regenwürmer das mehlige Fleisch heraus.‹«
»Doch, ich erinnere mich. Zwei
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