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Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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Gesicht des Linonen war steinern. Aber er hielt die Augen weit geöffnet, und Nevopor konnte an den Nasenflügeln sehen, daß er hastig atmete.
    »Du weißt, welche Macht ich als Hochpriester habe. Sind die, die dich zum Schweigen zwingen, mächtiger als ich?«
    »Nein.«
    »Dann rede! Wer ist es?«
    »Ich selbst zwinge mich zum Schweigen.«
    »Du lügst, Linone! Sage mir, wer deinen Geist verwirrt hat.«
    »Niemand. Ich sage die Wahrheit.«
    »Daß ich die Stallknechte befragen lassen kann, weißt du. Also werde ich so oder so wissen, wessen Pferd du getauscht hast. Du hast dir das Leben, das du hier führen durftest, bereits zerstört, weil du mir getrotzt hast. Zerstöre dir nicht noch das Paradies nach deinem Tod, Narr. Für wen hast du ein frisches Pferd besorgt und warum?«
    Ein Flüstern war es nur: »Vergib mir, Nevopor.«
    »Natürlich. Der Augenblick mag dich verwirren. Ich werde deine Strafe mildern, wenn du jetzt redest und mir nichts verschweigst.«
    Der Linone stand still.
    »Du willst nicht? Ich warne dich. Mache mich nicht zornig, das würdest du bereuen.«
    »Du warst gut zu mir. Dafür danke ich dir. Aber bei dem, was ich in meiner Kindheit als Ehre kennengelernt habe: Ich werde über mein Handeln am Stall nicht sprechen.«
    Augenscheinlich trug er mehr von seiner linonischen Vergangenheit in sich, als Nevopor geglaubt hatte. Er hatte ihn unterschätzt. Schlecht war das. Schlecht! Im Mund nahm er einen Hautlappen zwischen die Zähne und biß ihn wund. »Wie du willst. Lange hast du meine Gunst gespürt, junger Linone. Jetzt lerne, was es heißt, sich gegen den Hochpriester Rethras zu stellen. Du wirst dich hier nicht vom Fleck rühren.«
    Donik nickte ergeben.
    Es gab zwei Möglichkeiten, dachte Nevopor, während er den Hang erklomm. Entweder war die Macht derer, die den Linonen zum Schweigen zwangen, tatsächlich größer als die seine. Das war schwer vorstellbar. Oder er unterschätzte Nevopors Entschlossenheit. Nevopor würde ihm zeigen, welchen Fehler er machte.
    Er trat durch das Tor, überlegte kurz, ob er es schließen sollte, ließ es dann aber offen. Als er den Schatten des Turmes verlassen hatte, rief er die Wache auf der Ostmauer an: »Heda! Dort unten am Seeufer steht mein Knecht. Wenn er einen einzigen Schritt macht, durchbohre ihn mit deinem Speer. Hast du mich verstanden?«
    »Ja, Herr.«
    »Du bürgst mit deinem Leben.«
    Warum mußte ausgerechnet Tag der Rechtsprechung sein? Die Burg war angefüllt mit Menschen. Kinder zeigten ehrfürchtig aus der Ferne auf den Tempel, einige Männer hatten sich näher herangewagt und verneigten sich vor den Bohlenstatuen, die ihn umgaben. Wo Miesko, Jarich und die beiden anderen standen, konnte Nevopor nur erahnen; Menschentrauben verbargen die Priester. Unzählige warteten darauf, ihre Anliegen vorzutragen.
    Da, das war Mieskos Stimme. Nevopor stellte sich hinter die Menge, zwang sich zu Geduld. »Bitte«, sagte er. Einige Männer und Frauen drehten sich um, rissen erschrocken die Augen auf und machten Platz. Schnell war eine Gasse entstanden, die zu Miesko führte. Nevopor sah den wackelnden Kopf des Priesters.
    »Ja, ich kann zu dieser Hochzeit raten.« Miesko begleitete seine Worte durch ungeordnetes Kopftanzen und Kopfrütteln, wie er es immer tat – es sah aus, als wollte er dem Gesagten durch beständiges Kopfnicken Nachdruck verleihen. »Du wirst eine gesunde Familie haben mit diesem Mädchen.«
    Nevopor wartete, bis Miesko den jungen Mann verabschiedethatte. Dann legte er dem Priester die Hand auf die Schulter und sprach ihm leise ins Ohr. »Wir müssen diese Menschen fortschicken. Donik steht unten am See. Ich möchte, daß du folgendes tust: Laß sechs Schritt vom Ufer entfernt einen Pfahl in den Boden eingraben und binde Donik daran fest. Sorge dafür, daß während der Arbeiten nicht gesprochen wird. Sieh ihn nicht an. Er soll spüren, daß er todgeweiht ist.«
    »Bist du dir sicher, daß ich das tun soll?«
    Nevopor richtete sich auf und sagte laut zur Menge: »Der Dienst für den Unsterblichen erfordert, daß wir euch verlassen. Wenn ihr dringenden Rat benötigt, sprecht mit den anderen Priestern Svarožićs.« Damit wendete er sich ab und lief zum Westtor. Das Murmeln, das er hinter sich hörte, mißfiel ihm. Er blieb stehen, verharrte reglos, ohne sich umzusehen. Rasch wurde es still. Begann der Ungehorsam bereits, seine Fangarme auszustrecken? Nevopor würde das Unheil ersticken, gleich zu welchem Preis.
     
    Die Stallburschen

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