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Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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eine leise Furcht miteinander rangen. Stufe für Stufe. Nevopor senkte nicht den Kopf, um die Kanten zu finden. Seine Füße waren mit ihnen seit Jahren vertraut. Er hielt den Blick erhoben, sah auf den Mauerring, auf das Haupttor.
    Von den Ställen her näherte sich ein Schwarzschopf. Dort, wo der Wall am Teich unterbrochen war, zog er sich mit den Armen die Treppe hinauf, erhob sich aus der Hocke, und kam Nevopor entgegen.
    »Wo warst du?«
    »Bei den Ställen, Herr.«
    »Was hast du dort getan?«
    Ein Zögern. »Ich habe ein Pferd umgetauscht, ein müdes gegen ein frisches.«
    Keine weitere Frage, Nevopor. Er mußte ihn sprechen lassen. Er sah den Linonen an, grub seinen Blick in dessen Augen. Donik würde sprechen.
    Nichts.
    Der Linone wußte, daß er reden sollte, sicher wußte er das. Müßte er sonst nicht verwirrt fragen, was Nevopor wünschte? Aber er sprach nicht. Er hielt Nevopors Blick lange stand, ehe er die Augen niederschlug.
    Donik hatte ihm nur gesagt, was er durch Nachforschungen innerhalb von Augenblicken herausfinden würde. Wasbezweckte er? Nie hatte sich der Linone aufgelehnt, nie einem Wort Nevopors widersprochen.
    Nevopor wurde sich der Menschen bewußt, die um sie herum die Treppe hinaufstiegen oder von der Burg herabkamen. »Folge mir.«
    Das Gefühl hatte ihn nicht getäuscht. Er meinte körperlich zu spüren, wie ihn etwas bedrohte, etwas, das keine Belanglosigkeit war; es war ein erdrückender Schatten, ein kriechendes, lähmendes Gift.
    Sie passierten das Westtor, überquerten den Hof. Das kleine Seetor stand verlassen. Nevopor hob den Riegel von Eichenholz aus den tragenden Haken und warf ihn zur Seite. Donik mußte bemerken, daß er es selbst getan hatte. Jeder Untertan wußte, was es bedeutete, wenn der Herr die Arbeit tat, die dem Untertan zustand. Es gab nur zwei Gründe für dieses Verhalten: Größtes Wohlwollen oder vernichtende Ungnade. Er schob einen Flügel des Tores auf. »Los, hinunter zum See.«
    Der steile Hang zur Linken, neben dem Nevopor und Donik die Böschung hinabstiegen, war mit Granitblöcken verkleidet. Häufig erschien es Nevopor, als wäre die Burg auf dem Panzer einer riesigen Schildkröte errichtet. Der Burgbaumeister hatte gute Arbeit geleistet.
    Sicher gab es einen Weg, wie er Doniks Widerstand brechen konnte. Nicht mit Folter, nicht mit Macht, sondern mit einer Mischung aus Aufforderungen an die Vernunft und Erinnerungen an das Gemüt. Donik war klug. Nevopor würde ihn wie einen klugen Menschen behandeln.
    »Warum sind wir hier?« fragte der Linone und sah hinaus auf den See.
    »Sag du es mir.«
    Die Lippen in Doniks blassem Gesicht schlossen sich schmal.
    »Siehst du dieses Wasser? Fische leben darin, Krebse und Würmer. Der See ist ihr Vater.« Nevopor gab ihm einen Augenblick, darüber nachzudenken.
    Auf dem Gesicht des Linonen war keine Regung zu erkennen. Drei langsame Atemzüge zählte Nevopor.
    »Du weißt, daß ich keinen Sohn habe und nur eine Tochter. Ich habe mich nach einem Sohn gesehnt. Damals, als wir in Richtung Westen reisten und euer Dorf besuchten, hat dein Onkel in mir diese Sehnsucht erkannt. Er wußte, wenn er dich mir zum Knecht gibt, würde ich dich behandeln wie mein eigenes Kind.«
    Donik schwieg. Wind fuhr ihm in die kurzen, schwarzen Haare. Nevopor glaubte, die Augen des Linonen zucken zu sehen, als fänden sie keinen Halt. Es schien der richtige Weg zu sein, den er beschritten hatte.
    »Habe ich dich nicht aufgenommen wie einen Sohn? Kaum habe ich dich geschlagen oder dir Schlaf und Speise vorenthalten. Lüge ich?«
    »Nein, es ist wahr.«
    »Dann rede: Was besorgt dich?«
    »Habe ich Grund zur Sorge in deiner Nähe?«
    »Antworte du.«
    Schweigen.
    Nevopor ballte die Fäuste. »Was hast du bei den Ställen getan?« Es war keine ruhige, freundliche Frage mehr. Der wachsende Zorn hatte ihn lauter sprechen lassen, als er es beabsichtigt hatte.
    »Ich habe ein Pferd ausgetauscht.«
    »Für wen?«
    Donik schloß die Augen und schüttelte den Kopf.
    »Wie willst du sterben?« donnerte Nevopor. »Willst du, daß die weiße Frau dich holt, bevor deine Kerze in der Unterwelt abgebrannt ist? Willst du, daß sie ihre Sense nach dir ausstreckt, wenn es noch zu früh ist? Dann wird es auch nichts helfen, daß man dich verbrennt – Svarožić, der Herr über das Feuer, wird dir den Eingang in die Unterwelt verwehren. Du wirst als Fledermaus, als Schatten, als Rabe durch die Welt irren. Willst du das? Donik, ist es das, was du willst?«
    Das

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